Das Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II), Richtlinie (EU) 2017/828 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2017 zur Änderung der Richtlinie 2007/36/EG im Hinblick auf die Förderung der langfristigen Mitwirkung der Aktionäre, ist bis zum 10. Juni 2019 in deutsches Recht umzusetzen. Nach einigen Verzögerungen liegt jetzt der Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vor. Im Gespräch mit hkp.com erläutern die hkp/// group Experten Michael H. Kramarsch und Dr. Jan Dörrwächter die maßgeblichen Neuregelungen zur Vorstandsvergütung und ihre Konsequenzen.

Herr Kramarsch, Herr Dr. Dörrwächter, was sind die aus Ihrer Sicht maßgeblichen Neuerungen, die das ARUG II für die deutsche Vorstandsvergütung nach sich zieht?
Dr. Jan Dörrwächter: Mit dem aktuell vorliegenden Gesetzesentwurf sollen Unternehmen verpflichtet werden, jährlich einen Bericht zur Vorstandsvergütung durch die Hauptversammlung billigen zu lassen. Darüber hinaus müssen die Aktionäre mindestens alle vier Jahre über die Vergütungspolitik abstimmen.
Michael H. Kramarsch: Mit diesen Änderungen erleben wir die wohl bislang massivste Zäsur im deutschen Aktienrecht zum Thema Vorstandsvergütung. Der Gesetzgeber greift durch die neu eingefügten Paragraphen (§§ 87a,120a und 162 AkG-E), anders als bislang, überaus detailliert in die Fragen der Vergütungspolitik ein und zieht den Bericht über die Vergütungspolitik aus dem Handelsgesetzbuch ins Aktiengesetz.

Gibt es neben der Vorstandsvergütung noch weitere Bereiche, die das ARUG II beeinflusst?
Michael H. Kramarsch: Ein weiterer Schwerpunkt sind Geschäfte börsennotierter Aktiengesellschaften mit ihnen nahestehenden Personen, die sogenannten „related party transactions“. Gemäß Referentenentwurf bedürfen derartige Geschäfte künftig ab einer bestimmten Größenordnung der Zustimmung des Aufsichtsrats. Außerdem sind sie unverzüglich bekannt zu machen. Hierdurch soll eine rasche Information von Aktionären, Gläubigern, Arbeitnehmern und anderen interessierten Parteien über unternehmensrelevante Vorgänge sichergestellt werden.

Was ist unter der im Referentenentwurf so prominent behandelten Vergütungspolitik konkret zu verstehen?
Dr. Jan Dörrwächter: Die Vergütungspolitik beschreibt nicht die konkrete Vergütung der Organe, sondern regelt deren wesentliche Eckpunkte wie feste und/oder variable Vergütung, finanzielle oder nichtfinanzielle Leistungskriterien für die Gewährung variabler Vergütungsbestandteile. Gemäß § 87a AktG-E legt der Aufsichtsrat ein allgemein verständliches System zur Vergütung der Vorstandsmitglieder fest, das gemäß § 120a AktG-E von der Hauptversammlung bei wesentlichen Änderungen, mindestens jedoch alle vier Jahre, zu billigen ist.

Was passiert, wenn die Aktionäre die Vergütungspolitik nicht gutheißen?
Dr. Jan Dörrwächter: Das Votum der Hauptversammlung zur Vergütungspolitik ist für den Aufsichtsrat rechtlich nicht verbindlich. Insofern macht der Referentenentwurf von der den Mitgliedstaaten durch die Richtlinie eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, statt eines bindenden ein lediglich konsultatives Votum der Hauptversammlung zur Vergütungspolitik vorzusehen. Damit bleibt die Verantwortung des Aufsichtsrats für die Vergütung des Vorstands, die ja auch mit einer entsprechenden ausdrücklichen Haftung des Aufsichtsrats in § 116 S. 3 AktG verbunden ist, unangetastet. Sofern die Aktionäre die Vergütungspolitik aber nicht billigen, ist in der folgenden Hauptversammlung eine überarbeitete Fassung vorzulegen.

Das heißt, die Vergütung selbst wird wie bislang vom Aufsichtsrat festgelegt?
Michael H. Kramarsch: Der Aufsichtsrat setzt die Vergütung der Vorstandsmitglieder in Übereinstimmung mit der Vergütungspolitik fest (§ 87a Absatz 2 AktG-E).

Darf der Aufsichtsrat von der Vergütungspolitik abweichen?
Michael H. Kramarsch: Grundsätzlich ja, aber nur unter bestimmten Voraussetzungen, zeitlich befristet und mit einer detaillierten Begründung.

Welche Änderungen gibt es mit Blick auf den Vergütungsbericht?
Dr. Jan Dörrwächter: Vergütungsberichte müssen zukünftig durch den Wirtschaftsprüfer testiert werden. Sie erhalten damit eine höhere Verbindlichkeit. Die bislang gegebene maximale Freiheit in der Ausgestaltung wird durch die in § 162 AktG-E genannten Anforderungen an den Vergütungsbericht beschränkt. Es wird also Mindeststandards und damit eine bessere Vergleichbarkeit geben.
Michael H. Kramarsch: Und auch die Transparenz steigt. Nicht zuletzt dadurch, dass für alle aktiven und ausgeschiedenen Vorstandsmitglieder die Vergütung individuell auszuweisen ist. Damit findet die Reise, die im Jahr 2005 mit Einführung der freiwilligen individuellen Transparenz durch den Deutschen Corporate Governance Kodex begonnen hat, ihre Fortsetzung.

Was passiert, wenn nach Zustimmung zur Vergütungspolitik der Vergütungsbericht durch die Hauptversammlung abgelehnt wird?
Dr. Jan Dörrwächter: Formal hat ein ablehnender Beschluss der Hauptversammlung zum Vergütungsbericht keine rechtlichen Folgen. Das Votum ist für den Aufsichtsrat aber ein wichtiger Indikator, ob die Eigentümer des Unternehmens mit der Anwendung der Vergütungspolitik im konkreten Fall einverstanden sind. Ist dies nicht der Fall, sollte der Aufsichtsrat das zum Anlass nehmen, sowohl die grundsätzliche Vergütungspolitik als auch ihre konkrete Anwendung kritisch zu prüfen und anzupassen.

Inwiefern greift der Referentenentwurf bislang unscharfe bzw. ungeklärte Aspekte des Agierens von Investoren und Stimmrechtsberatern in puncto Vorstandsvergütung auf?
Michael H. Kramarsch: Hier gab es in der Tat großen Handlungsbedarf. Investoren und Stimmrechtsberater sind auf die ausgeweitete Verantwortung nur ungenügend vorbereitet und agieren wenig transparent. Der Referentenentwurf adressiert die relevanten Handlungsfelder. Erstmals überhaupt gibt es umfassende Bestimmungen zum Prozess und zur Qualifikation in der Abstimmung bei Investoren und Stimmrechtsberatern bei Vergütungsfragen. Die Transparenz bei Abstimmungsergebnissen – die Information darüber, wie sich jeder einzelne Investor bei Tagesordnungspunkten auf der Hauptversammlung verhalten hat – wird sich deutlich verbessern.

In der Vergangenheit wurden oftmals Interessenkonflikte bei den Stimmrechtsberatern moniert. Greift der Gesetzentwurf das auf?
Dr. Jan Dörrwächter: Ein Interessenkonflikt wurde bislang vor allem bei ISS darin gesehen, dass der Stimmrechtsberater auf der einen Seite Investoren bei der Wahrnehmung ihre Stimmrechte berät, zugleich aber auch Emittenten eine sogenannte Corporate-Governance-Beratung, also vor allem eine Vergütungsberatung, anbietet. Künftig sind Stimmrechtsberater verpflichtet, ihre Kunden unverzüglich über Interessenkonflikte sowie entsprechende Gegenmaßnahmen zu informieren.

Herr Kramarsch, Sie haben mit einem Arbeitskreis aus namhaften Aufsichtsräten, Investoren, Wissenschaftlern und Corporate Governance-Experten Leitlinien zur nachhaltigen Gestaltung von Vorstandsvergütung entwickelt. Sind diese nun neu zu fassen?
Michael H. Kramarsch: Die durch den Arbeitskreis erarbeiteten Richtlinien zur Gestaltung, zum Ausweis und zur Kommunikation von Vorstandsvergütung sind grundsätzlich unabhängig von gesetzlichen oder regulatorischen Vorgaben, da die Leitlinien die gemeinsame Sicht von Unternehmen, Investoren und Governance Experten dokumentieren und so die Realitäten auf Hauptversammlungen abbilden. Aber sicher wird die Arbeitsgruppe nach dem ARUG II und dem bald vorliegenden Entwurf des DCGK die Leitlinien überprüfen und an einzelnen Stellen weiterentwickeln.

Wie lautet Ihr Fazit zum Referentenentwurf?
Michael H. Kramarsch: Die europäische Aktionärsrechterichtlinie und in ihrer Umsetzung das ARUG II adressieren wichtige Fragen im Zusammenspiel von Unternehmen, ihren Aktionären und den Stimmrechtsberatern. Vor allem die Regelungen zum Thema Vorstandsvergütung bringen für die börsennotierten Gesellschaften erhebliche Änderungen mit sich. Der Gesetzentwurf selbst spricht von einer spürbaren Veränderung des deutschen Rechts.
Dr. Jan Dörrwächter: Nachdem klar war, dass die Hauptversammlung künftig zwingend mit der Vorstandsvergütung befasst werden muss, galt für viele die Frage, ob das Aktionärsvotum zur Vergütungspolitik bindenden oder nicht bindenden Charakter hat, als entscheidender Punkt der Neuregelungen. Nun sind beide Beschlüsse, zur Vergütungspolitik und zum Vergütungsbericht, verpflichtend einzuholen, aber konsultativ, das heißt nicht bindend – aus unserer Sicht zurecht.

Lehnen Sie ein bindendes Votum der Hauptversammlung ab – wenn ja, warum?
Dr. Jan Dörrwächter: Es ist schlicht nicht erforderlich. Wenn eine Hauptversammlung ein Vergütungssystem ablehnt, kann es sich kein Aufsichtsrat bzw. Unternehmen erlauben, dieses Votum zu ignorieren. Geschieht dies doch, wird der Aufsichtsrat die Quittung dafür spätestens in der nächsten Hauptversammlung präsentiert bekommen. Der Spielraum reicht dabei von Ablehnung der Entlastung über gezieltes Störfeuer bei Neuwahlen …
Michael H. Kramarsch: … bis hin zu Querschüssen in ganz anderen Themen. In den letzten Jahren haben wir gesehen, dass gerade die Vorstandsvergütung oft auch umgekehrt als Hebel für die Beeinflussung von Entscheidungen in anderen strategischen Bereichen genutzt wurde. Auch wenn das Aktionärsvotum nicht bindend ist, es ist ein mächtiges Schwert!

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Autor Michael H. Kramarsch

Sie möchten mehr zum Thema wissen?

Vereinbaren Sie einen (Telefon-) Termin mit Michael H. Kramarsch