Die mehrjährige aktienbasierte variable Vergütung, kurz Long Term Incentive oder LTI, steht angesichts Corona-Pandemie, Lieferkettenproblemen, Krieg und anderem vor zentralen Herausforderungen. Im Interview sprechen die hkp///group-Berater Barry Kitz und David Voggeser über die Wirkung und Notwendigkeit krisenbedingter Anpassungen von LTI sowie über Handlungsoptionen für Unternehmen in wirtschaftlich extrem unvorhersehbaren Zeiten.


Der Artikel stammt aus COMP & BEN. Das Onlinemagazin berichtet in sechs Ausgaben pro Jahr sowie auf der Webseite der Personalwirtschaft aktuell und kompetent über Compensation & Benefits, also die Vergütung von Fach- und Führungskräften in Unternehmen. >> Zum Interview auf personalwirtschaft.de


 

Sind LTI in einem wirtschaftlichen Umfeld wie dem aktuellen überhaupt noch sinnvoll?

Barry Kitz: In der Tat sehen sich HR- und Comp-&-Ben-Verantwortliche derzeit mit enormen Herausforderungen, auch in Vergütungsfragen konfrontiert. Erst die Corona-Pandemie mit Lockdowns und nachhallenden Lieferproblemen und jetzt die Auswirkungen des russischen Überfalls auf die Ukraine mit Energiekrise et cetera. All diese Faktoren sprechen eher für eine schwächere wirtschaftliche Entwicklung und damit auf den ersten Blick gegen Vergütungsinstrumente, die sich an wirtschaftlichen Erfolgsfaktoren orientieren.

Aber …?

David Voggeser: Speziell LTI sind auf den langfristigen Erfolg ausgerichtete Vergütungsinstrumente, die eine Chance incentivieren: Im besten Fall erhalten die Berechtigten für außerordentliche Leistungen und Erfolge in einem definierten Zeitraum – in der Regel nach drei bis fünf Jahren – eine finanzielle Belohnung in Form von Aktien oder aktienähnlichen Instrumenten beziehungsweise wertgleichen Zahlungen. Dabei wird in Kauf genommen, dass es auch schwächere Phasen gibt, die es zu überwinden gilt.

Das kann aber auch bedeuten, dass die Auszahlung einer Tranche niedriger ist als der Zielwert beziehungsweise im ungünstigsten Fall auch auf null fällt.

David Voggeser: Im Prinzip ja, denn LTI incentivieren eine realistische Chance auf Erfolg, doch es gibt auch ein Risiko. Am Ende ist es das Atmen der Vergütung mit dem nachhaltigen Unternehmenserfolg, das als grundlegendes Prinzip funktioniert. Dadurch, dass LTI jährlich neu gewährt werden, sind bei gesunden Unternehmen in der Regel mehr als die Hälfte der Auszahlungen im Plus. Nicht zuletzt auch, weil eben durch die LTI eine nachhaltige Unternehmenswertsteigerung und das Erreichen von langfristigen Zielen in den Fokus gestellt werden.

Aber können LTI bei den gegebenen Unsicherheiten heute noch Führungskräfte oder andere Mitarbeitergruppen locken, beziehungsweise wirken sie noch als Leistungsanreiz?

Barry Kitz: Gerade die Beteiligung an der Unternehmenswertsteigerung wirkt extrem motivierend und identifikationsstiftend. Das ist nicht nur unser Eindruck aus Beratungsprojekten auf nationaler wie internationaler Ebene, sondern auch wissenschaftlich bewiesen. Demnach wirkt sich die Identifikation mit dem Arbeitgeber positiv auf die Unternehmensperformance aus. Auch deswegen halten Unternehmen am LTI mit einem Mix der Vergütungsinstrumente fest. Zudem verankern immer mehr Unternehmen ESG-Ziele in ihren LTI-Programmen, wodurch Nachhaltigkeits-, Umwelt- und gesellschaftliche Aspekte stärker in den Fokus rücken. Viele Führungskräfte und Mitarbeitende erachten diese inzwischen als sehr wichtig und fordern auch deren Berücksichtigung in Zielen und ebenfalls in der Vergütung ein.

Gibt es arbeitsvertraglichen Vereinbarungen zu Anpassungen bei LTI im Fall von außergewöhnlichen Entwicklungen wie Naturkatastrophen oder Krieg?

Barry Kitz: Man muss hier unterscheiden zwischen Anpassungen vor Gewährung einer LTI-Tranche und während der Laufzeit. Ersteres wird selbstverständlich genutzt, nicht nur um außergewöhnliche Entwicklungen abzubilden, sondern auch um beispielsweise eine veränderte Unternehmensstrategie zu berücksichtigen.

Bei laufenden Tranchen ist dies nicht so einfach möglich?

David Voggeser: Bei einer laufenden Tranche sind Anpassungen nicht üblich. Für Fach- und Führungskräfte unterhalb des Vorstands sind heutzutage aber teilweise Anpassungsmöglichkeiten in den Planregeln verankert.

Wie sehen diese Möglichkeiten aus?

Barry Kitz: Am Ende der Laufzeit einer Tranche können außergewöhnliche externe Einflüsse eliminiert werden. Beispielsweise indem ein EBIT als Bemessungsgrundlage so berechnet wird, als wären bestimmte Sonderbelastungen nicht eingetreten.
David Voggeser: Eine Option des Eingriffs ist der Marktvergleich, also die Ziele des eigenen Unternehmens in Relation zu denen konkurrierender Unternehmen zu setzen. In diesem Fall kommt es nicht mehr auf den absoluten Wertzuwachs an, sondern ob beispielsweise der eigene Aktienkurs weniger gesunken ist als der des Wettbewerbers, der sich in einer vergleichbaren Situation befindet.

Wie häufig sehen Sie derartige Anpassungen? Schaffen diese nicht Erwartungen bei den Berechtigten?

Barry Kitz: Auch wenn es die Option nachträglicher Anpassungen in LTI-Plänen gibt, sollten derartige Modifikationen nur in Ausnahmefällen vorgenommen werden. Nicht zuletzt, weil damit Erwartungen bei Berechtigten generiert werden, die das Prinzip der erfolgsbasierten Unternehmensbeteiligung und damit der Förderung von Unternehmertum konterkarieren. Daher sehen wir vielfach auch die strikte Haltung, dass Krisen zum Wirtschaftsleben gehören, im Sinne des Unternehmertums zu bewältigen sind und sich diese Entwicklungen im Positiven wie Negativen auch in der Vergütung niederschlagen sollten.

Gibt es ein Mindestniveau in der Auszahlung von LTI-Programmen?

Barry Kitz: Die mehrjährige aktienbasierte variable Vergütung kennt keine Mindestvergütung. Sie ist so konzipiert, dass abgestuft nach der Erreichung von Zielen Vergütung ausgeschüttet wird. Dabei kann das Auszahlungsniveau bei entsprechend schlechten Ergebnissen auch auf null fallen.

Erscheinen Führungskräften in volatilen Zeiten STI-Pläne nicht deutlich attraktiver?

David Voggeser: Das wäre nachvollziehbar, hängt aber immer von individuellen Präferenzen ab. Aber rein ökonomisch ist eine direkte oder indirekte Beteiligung oft schlicht profitabler, da sich neben konkreten Zielen beispielsweise auch der Unternehmenswert auf die Auszahlung auswirkt.

Wie stark schätzen Sie die Bindungsfunktion von LTI ein?

David Voggeser: Wissenschaftliche Studien zeigen, dass sich über Beteiligung – auch über Mitarbeiterbeteiligungsprogramme – die Bindung von Beschäftigten deutlich erhöhen lässt. Angesichts eines zunehmenden Fachkräftemangels und einer gleichzeitig umfassenden beziehungsweise tiefgreifenden Krisensituation sind diese Ergebnisse aber auf den Prüfstand zu stellen. Dessen ungeachtet glauben wir an die Wirkung eines ausgewogenen Mixes von kurz- und langfristigen variablen Vergütungen – im Sinne der Gewinnung, Bindung und Motivation von Fach- und Führungskräften.

Autor Barry Kitz

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