2024 stehen auf den Hauptversammlungen börsennotierter Unternehmen in Österreich erneut die Vergütungspolitiken zur Abstimmung – für die meisten Unternehmen zum zweiten Mal seit der Umsetzung der zweiten europäischen Aktionärsrechterichtlinie in österreichisches Recht durch das AktRÄG. Vielfach diskutiert wird unter anderem die Implementierung von Nachhaltigkeitszielen in der Vorstandsvergütung. Dabei wird häufig deutlich, dass die Befassung mit Nachhaltigkeitsthemen insgesamt im Aufsichtsrat zu verankern ist. Was sagen hierzu die Abstimmungsrichtlinien führender Investoren und Stimmrechtsberater? hkp.com sprach mit Corporate Governance Advisor Dr. Pia Lünstroth darüber, welche Anforderungen institutionelle Investoren rund um das Thema Nachhaltigkeit an den Aufsichtsrat stellen.

Frau Dr. Lünstroth, die hkp/// group hat die Abstimmungsrichtlinien der großen institutionellen Investoren analysiert. Mit welchem Ergebnis?

Pia Lünstroth: Wir haben zunächst einige Gemeinsamkeiten in der Investorenlandschaft von ATX- und DAX-Unternehmen festgestellt, insbesondere wenn man die großen Ankerinvestoren in Österreich außer Acht lässt.

Worin bestehen die Gemeinsamkeiten?

Pia Lünstroth: Sieben der Top 15 Investoren sind in beiden Indices vertreten. Zudem halten heimische Investoren etwa 15 % des investierten Vermögens. In Österreich sind Unternehmen wie die Erste Asset Management und die Raiffeisen Kapitalanlage-Gesellschaft wichtige lokale Investmentgesellschaften, vergleichbar mit DWS Investment, Deka Investment, Union Investment und Allianz Global Investors in Deutschland.

Stichwort Nachhaltigkeit. Man hat das Gefühl, dass dieses Schlagwort zwar einerseits sehr inflationär genutzt wird, es aber andererseits doch sehr konkret und immer tiefer Eingang in die Corporate Governance findet. Trügt dieser Blick?

Pia Lünstroth: Nein, keineswegs. Nachhaltigkeit wird in Wirtschaft und Gesellschaft zu recht viel besprochen und das bleibt für die Corporate Governance natürlich nicht ohne Folgen. Ein Beispiel dafür sind die Forderungen an die Nachhaltigkeitskompetenz im Aufsichtsrat. In Österreich bündeln rund ein Drittel der ATX-Unternehmen die Nachhaltigkeitsexpertise im Aufsichtsrat in einem dezidierten Ausschuss, der sich mit Nachhaltigkeitsthemen befasst. Dabei gibt es verschiedene Bezeichnungen, wie Strategie- und Nachhaltigkeitsausschuss oder ESG- und Nachhaltigkeitsausschuss. Diese Ausschüsse rücken das Thema Nachhaltigkeit näher an die Unternehmensstrategie heran, was als äußerst positiv zu bewerten ist.


 

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Was genau fordern denn Investoren mit Blick auf die Verankerung von Nachhaltigkeit im Aufsichtsrat?

Pia Lünstroth: Erstaunlich wenig. Seitens der US-amerikanischen Vertreter werden Erwartungen an die Nachhaltigkeitskompetenz sogar gar nicht oder nur in Ausnahmen gefordert – wie zum Beispiel bei State Street Global Advisors. Die Anforderungen kommen also eher von den europäischen Investoren. Sie fordern, dass Aufsichtsräte über entsprechende Kompetenzen verfügen und diese nachweisen müssen. Sie überlassen es jedoch den Unternehmen, wie sie ihren Aufsichtsrat in Nachhaltigkeitsfragen organisieren. Die Forderung, einen separaten Ausschuss für Nachhaltigkeitsthemen einzurichten, gibt es daher nicht. 

Ein zentrales Thema ist auch die Integration von Nachhaltigkeitszielen in die Vorstandsvergütung, für die sich der Aufsichtsrat verantwortlich zeichnet. Was haben Ihre Untersuchungen dazu ergeben?

Pia Lünstroth: Auch hier fordern die US-amerikanische Investoren und Stimmrechtsberater nicht zwingend die Integration von Nachhaltigkeitszielen. Sie legen vielmehr Wert auf die Art und Weise, wie diese Ziele umgesetzt werden, und formulieren Rahmenbedingungen. Der Pay-for-Performance-Gedanke steht bei ihnen im Vordergrund. Damit bleiben in manchen Fällen, die in den Abstimmungsrichtlinien formulierten Erwartungen hinter den öffentlichen Äußerungen der jeweiligen Investoren zurück.

Wie sieht denn die Integration von Nachhaltigkeit konkret in der Vorstandsvergütung von ATX-Unternehmen aus?

Pia Lünstroth: Fast alle ATX-Unternehmen haben ESG-Ziele in ihre Vorstandsvergütung integriert. Die Gewichtung dieser Ziele liegt oft zwischen 10 und 30 % in den variablen Vergütungselementen, insbesondere im Short-Term Incentive und seltener im Long-Term Incentive (LTI). Bei rund einem Viertel der Unternehmen jedoch in beiden Elementen. Ziele aus den Bereichen Umwelt und Soziales werden dabei häufiger verwendet als Governance-Ziele.

Die Integration von Nachhaltigkeit in Gremien und Systeme ist das Eine, die Kommunikation das Andere. Was haben Ihre Analysen im Bereich der Nachhaltigkeitskommunikation an den Kapitalmarkt ergeben?

Pia Lünstroth: Insgesamt machen österreichische Investoren weniger Vorgaben zum Thema Nachhaltigkeit im Aufsichtsrat als deutsche Investoren. Der Umfang der Abstimmungsrichtlinien ist dabei teilweise auch wesentlich geringer. Lediglich zum Thema Offenlegung gibt es in den Abstimmungsrichtlinien der österreichischen Investoren eine Anforderung, die den Aufsichtsrat direkt betrifft und im Einklang steht mit den Erwartungen US-amerikanischer Investoren.

Die da wäre? 

Pia Lünstroth: Es wird, ich zitiere, eine „detaillierte Offenlegung von Klimarisiken, z.B. gemäß dem von der Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD) aufgestellten Rahmen“ gefordert. Zudem heißt es bei der Erste Asset Management sinngemäß, dass man unter anderem bei einer fehlenden Nachhaltigkeitsberichterstattung gegen einzelne Mitglieder des Aufsichtsrats, einen Ausschuss oder möglicherweise gegen den gesamten Aufsichtsrat stimmen werde.

Welches Fazit ziehen Sie aus ihrer Analyse abschließend?

Pia Lünstroth: Insgesamt belegt die aktuelle Analyse der Erwartungen der einflussreichsten Investoren in ATX-Unternehmen und ihren Stimmrechtsberatern zu Nachhaltigkeit im Aufsichtsrat ein heterogenes Bild. Es zeigen sich fundamentale Unterschiede zwischen europäischen und US-amerikanischen Vertretern. Gleichzeitig stehen in manchen Fällen die in den Abstimmungsrichtlinien formulierten Erwartungen den öffentlichen Äußerungen der jeweiligen Investoren bei Weitem nach.

Welchen Ratschlag können Sie Aufsichtsräten im ATX auf dieser Grundlage denn geben?

Pia Lünstroth: Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen sollten die Unterschiede in der Investorenlandschaft definitiv ernst nehmen, sich aber nicht verunsichern lassen. Wichtig ist, frühzeitig den Dialog zu suchen. Es muss ganz grundsätzlich, aber auch im Detail über die Verankerung von Nachhaltigkeit in den klassischen Aufsichtsratsthemen gesprochen werden: über Organisation und Zusammenarbeit, Kompetenzen und Zusammensetzung sowie über Steuerung und Vergütung. Am Ende geht es um nichts weniger als darum, Nachhaltigkeit angemessen in der Unternehmensstrategie und -führung zu integrieren – im Sinne des Unternehmens und seiner Kapitalgeber und Stakeholder.

Frau Dr. Lünstroth, vielen Dank für das Gespräch.

Autor Dr. Pia Lünstroth

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