Das Aktionärsrechts-Änderungsgesetz (AktRÄG 2019) wurde am 2. Juli 2019 im österreichischen Nationalrat verabschiedet. Nach Beratung des Bundesrats am 11. Juli 2019 treten die Änderungen rückwirkend zum 10. Juni 2019 – dem Tag der durch die EU gesetzten Umsetzungsfrist – in Kraft.


Frau Siepmann, Frau Dr. Lünstroth, was sind die wesentlichen Neuerungen durch das Aktionärsrechts-Änderungsgesetz für börsennotierte Aktiengesellschaften in Österreich?

Regine Siepmann: Mit dem Aktionärsrechts-Änderungsgesetz wird die zweite Europäische Aktionärsrechterichtlinie mit dem Kerninhalt der Förderung der langfristigen Mitwirkung der Aktionäre in nationales Recht umgesetzt. Wesentliche Inhalte sind neben Regelungen zu Related Party Transactions, also Geschäften mit nahestehenden Dritten, und der verbesserten Identifikation von Aktionären, neue Vorgaben zur Vergütung von Vorständen und Aufsichtsräten sowie erweiterte Mitspracherechte der Aktionäre.
Dr. Pia Lünstroth: Mit dem für Unternehmen in Österreich neuen Say on Pay wird die Vorstandsvergütung zukünftig zum festen Bestandteil der Hauptversammlungen. Konkret wird es zwei neue, zwingende Tagesordnungspunkte geben: Die Billigung der Vergütungspolitik sowie die Billigung des Vergütungsberichts.

Beide Beschlüsse sind jedoch konsultativ und nicht bindend…

Regine Siepmann: Dennoch bedeutet diese gesetzliche Neuerung eine Zeitenwende für die Corporate Governance in Österreich und die Vergütungsgovernance im Speziellen. Aktionäre hatten hier bisher nur sehr begrenzt Möglichkeit zur Mitsprache. Allenfalls wurde über die Festsetzung der Aufsichtsratsvergütung oder über Vergütung mit Übertragung echter Aktien abgestimmt. Das ändert sich nun.
Dr. Pia Lünstroth: Die Vorstandsvergütung wird zukünftig fester Bestandteil der Hauptversammlungsagenda. Und ob nun konsultativ oder verbindlich – kein Unternehmen, kein Aufsichtsrat kann sich dem Diskurs entziehen und muss auf entsprechende Rückmeldungen der Aktionäre reagieren.

Der Begriff der Vergütungspolitik ist neu. Was bedeutet er in der Praxis?

Dr. Pia Lünstroth: Die nach § 78a AktG erforderliche Vergütungspolitik beschreibt ein allgemein verständliches System zur Vergütung des Vorstands sowie des Aufsichtsrats. Die Vergütung soll dabei an der Förderung der Strategie und der langfristigen Unternehmensentwicklung ausgerichtet sein. Die Vergütungspolitik ist der Hauptversammlung zur Abstimmung vorzulegen.
Regine Siepmann: Der Aufsichtsrat hat die Vergütung des Vorstands in Übereinstimmung mit einer der Hauptversammlung vorgelegten – nicht notwendigerweise von dieser gebilligten! – Vergütungspolitik festzusetzen. Über die konkrete Umsetzung der Vergütungspolitik im jeweiligen Geschäftsjahr ist dann im Vergütungsbericht nach § 78c AktG zu berichten, über den die Hauptversammlung ebenfalls beratend beschließt.

Was sehen Sie als größte Änderung für die aktuelle Unternehmenspraxis?

Regine Siepmann: Mit dem Say on Pay wird sich der Einfluss von institutionellen Investoren und Stimmrechtsberatern auf derartige Abstimmungen signifikant erhöhen. Die Ausweispraxis der Unternehmen kommt unter Zugzwang und wird sich im Vergleich zur aktuellen Marktpraxis tiefgreifend verändern.

In Österreich gab es zuvor bereits das Unternehmensgesetzbuch und den Österreichischen Corporate Governance Kodex…

Regine Siepmann: … und damit tatsächlich auch Vorgaben zur individualisierten Veröffentlichung der Vorstandsvergütung. Eine transparente, einheitliche Ausweispraxis hat sich daraus aber dennoch bislang nicht herausgebildet. Auch das neue Aktiengesetz bleibt hier unkonkret.

Warum sind diese Regelungen nicht ausreichend?

Dr. Pia Lünstroth: Investoren erwarten, den Pay for Performance-Bezug der Vergütung nachvollziehen zu können – das ist auf Basis der heutigen Berichtsgepflogenheiten kaum möglich und wird Druck hin zu mehr Standardisierung und Transparenz aufbauen. Die derzeitige heterogene Ausweispraxis und vergleichsweise geringe Detailtiefe erschweren eine externe Beurteilung der Vergütungssysteme und -höhen.

Blickt man ins Nachbarland Deutschland und auf die dort geäußerte Kritik an Vergütungssystemen bzw. deren Ausweis, so lassen sich Parallelen zur aktuellen österreichischen Marktpraxis erkennen.

Regine Siepmann: Einige DAX-Unternehmen haben hier schmerzhafte Erfahrungen machen müssen, aus denen Unternehmen in Österreich wichtige Schlüsse ziehen können. Bemängelt wurde eine ungenügende Ausrichtung der Vergütungssysteme an Aktionärsinteressen – konkret ausgedrückt: das Fehlen anspruchsvoller Erfolgsziele, relativer Vergleiche mit Wettbewerbern, einer etablierten Aktienkultur und von Clawback-/Malus-Regelungen.
Dr. Pia Lünstroth: Auch zu kurze Performance-Perioden wurden angemahnt sowie eine mangelnde Transparenz zu diesen Themen. Zudem sind diskretionäre Vergütungselemente vielen angelsächsischen Investoren fremd oder prinzipiell ein Dorn im Auge.

Sie haben in Studien analysiert, dass selbst Investoren sehr heterogene Vorstellungen von Vergütungssystemen haben. Lassen sich eigentlich noch hohe Zustimmungsquoten in Hauptversammlung erzielen?

Regine Siepmann: In der Tat sind die Vorgaben der Investoren oft widersprüchlich. Aber grundsätzlich hängt die Zustimmung bei der Vorstandsvergütung ganz wesentlich von der Transparenz im Vergütungsbericht sowie von der Einbindung institutioneller Investoren und Stimmrechtsberater im Engagement-Prozess ab – und das nicht erst kurz vor der Hauptversammlung.
Dr. Pia Lünstroth: Abstimmungsquoten von mehr als 95 %, wie es sie bis vor einigen Jahren in Deutschland gab, sind heutzutage nicht mehr realistisch. Aber auch Ergebnisse oberhalb von 50 % heißen nicht, dass eine Vergütungspolitik akzeptiert ist. So werden Ergebnisse unter 80 % von Investoren und Stimmrechtsberatern als Impuls in Richtung Unternehmen gesehen, die Vergütung zu überarbeiten. Eine knappe Mehrheit mag also formal genügen, in der Praxis wird faktisch eine Überarbeitung – nicht nur eine Überprüfung, wie es der Gesetzeswortlaut vorsieht – notwendig werden.

Wie sieht der weitere Zeitplan aus – ab wann gelten die Neuregelungen?

Dr. Pia Lünstroth: Eine Befassung der Hauptversammlung mit der Vergütungspolitik ist erstmalig in jenem Geschäftsjahr vorzusehen, das nach dem Tag des Inkrafttretens, dem 10. Juni 2019, beginnt – damit also in 2020. In der Folge hat eine Befassung der Hauptversammlung in jedem vierten Geschäftsjahr sowie bei jeder wesentlichen Änderung zu erfolgen. Der Vergütungsbericht, der auf der zur Abstimmung gestellten Vergütungspolitik beruht, soll dann erstmals im darauffolgenden Jahr – also in 2021 für das Geschäftsjahr 2020 erstellt und zur Abstimmung gebracht werden.
Regine Siepmann: Die genannten Fristen zeigen, dass es kaum Puffer gibt. Langes Abwarten ist nicht angesagt. Um rechtzeitig in den Dialog mit allen Stakeholdern und insbesondere relevanten Investoren treten zu können, sollten Aufsichtsräte das Thema Vergütungspolitik schnellstmöglich auf ihre Agenda setzen und sich vorab intensiv informieren.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

 

Zu Ihrer Unterstützung: Die Experten der hkp/// group stellen Ihnen hier eine Checkliste zur vollständigen Abarbeitung der relevanten Punkte für die gesetzeskonforme Umsetzung der zweiten europäischen Aktionärsrechterichtlinie im Rahmen des österreichischen Aktienrechts-Änderungsgesetzes 2019 (AktRÄG) zur Verfügung.

 

Autor Regine Siepmann

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