Seit 2019 ist in Österreich das Aktienrechts-Änderungsgesetz (AktRÄG) in Kraft, das die zweite europäische Aktionärsrechterichtlinie in nationales Recht umgesetzt hat. Ein zentrales Ziel der Richtlinie ist die Förderung der langfristigen Mitwirkung der Aktionäre. Seit 2020 stimmen diese deshalb auf der Hauptversammlung alle vier Jahre oder nach jeder wesentlichen Änderung über die Vergütungspolitik für Vorstand und Aufsichtsrat ab. Auch wenn die Abstimmung nur empfehlenden Charakter hat und nicht anfechtbar ist: Die Befragung der Hauptversammlung stellte einen bedeutenden Schritt in der Corporate Governance Österreichs dar. 2024 wird nun bei vielen österreichischen Unternehmen zum zweiten Mal über die Vergütungspolitik abgestimmt. Was lässt sich aus den zurückliegenden Voten lernen? Und welchen Einfluss hatte das Gesetz auf die Rolle von institutionellen Investoren? Hierüber sprach hkp.com mit den Corporate Governance Beratern Dr. Jan Dörrwächter, Senior Partner der hkp/// group, und Dr. Pia Lünstroth, Partner.

Herr Dr. Dörrwächter, Frau Dr. Lünstroth, welchen Einfluss hatte das AktRÄG beziehungsweise die zweite europäische Aktionärsrechterichtlinie auf die Corporate Governance in Österreich?

Dr. Pia Lünstroth: Einen entscheidenden! Die Richtlinie und das Gesetz haben das Thema Vorstandsvergütung und Say on Pay, also die Abstimmung der Hauptversammlung über die Vorstands- und Aufsichtsratsvergütung, das erste Mal überhaupt in die österreichische Corporate Governance gebracht. Damit ist auch das Verhältnis zu Investoren und der Hauptversammlung nochmal ganz neu aufgestellt worden. Denn nun finden die Aktionäre, allen voran die institutionellen Investoren, auf der Hauptversammlung mit ihren Vorstellungen stärker Gehör. 
Dr. Jan Dörrwächter: Vorher gab es eben nur im Rahmen von Kapitalbeschlüssen Abstimmungen zum Thema Vergütung, wenn hierfür tatsächlich echte Aktien genutzt wurden. Das haben in Österreich nur sehr wenige Unternehmen gemacht. Insofern gab es da nahezu keine Erfahrung, was Say-on-Pay-Voten auf der Hauptversammlung angeht. 2020 hatten damit alle börsennotierten Unternehmen Österreichs eine Premiere.

Damit kann man doch festhalten, dass zumindest beim Thema Vergütung die von der Aktionärsrechterichtlinie beabsichtigte Förderung der langfristigen Mitwirkung der Aktionäre erreicht wurde, oder?

Dr. Jan Dörrwächter: Absolut. Es wurde vor allem für mehr Transparenz gesorgt. Denn vor der Aktionärsrechterichtlinie gab es in Österreich zwar den Corporate Governance Bericht, in dem  auch Grundzüge der Vergütung beschrieben werden mussten, aber weniger detailliert. 
Dr. Pia Lünstroth: Es ist tatsächlich eine stärkere Investoren- und Aktionärs-Orientierung der Vergütung umgesetzt worden. Mehrere Unternehmen haben auch eine aktienbasierte Vergütung eingeführt, um die Interessen der Aktionäre stärker mit den Interessen des Vorstands in Einklang zu bringen. 
Dr. Jan Dörrwächter: Und damit hat sich insgesamt die Vergütungslandschaft in Österreich der internationalen Marktpraxis angenähert, in der die langfristige, aktienbasierte Vergütung eine größere Rolle spielt.

2024 wird bei den meisten Unternehmen nun zum zweiten Mal über die Vergütungspolitik abgestimmt, eine Abstimmung zum Vergütungsbericht erfolgte seit 2021 jährlich. Wie lassen sich die Ergebnisse all dieser Say-on-Pay-Abstimmungen zusammenfassen?

Dr. Pia Lünstroth: Es zeigt sich ein durchwachsenes Bild. Es gab einige sehr gute Abstimmungen, woran oft auch noch Ankeraktionäre beteiligt waren. Es gab aber auch einige Abstimmungen, die nicht so gut gelaufen sind. Hier mussten die Unternehmen dann tatsächlich auch nachbessern. Da gab es durchaus auch einige Fälle, in denen dann schon vor Ablauf der vier Jahre der Hauptversammlung eine überarbeitete Vergütungspolitik vorgelegt wurde.

Worauf a chten institutionelle Investoren denn beim Blick auf die Vergütungspolitik?

Dr. Pia Lünstroth: Für Investoren ist der Pay-for-Performance-Ansatz entscheidend, und es ist wichtig, dass sie diesen schnell nachvollziehen können. Insofern legen sie beispielsweise Wert auf anspruchsvolle Erfolgsziele, auf Performance-Perioden, die nicht zu kurz angesetzt werden, sowie auf relative Vergleiche mit Wettbewerbern und eine allgemeine Aktienkultur im Unternehmen. Transparenz ist in vielen Einzelpunkten das zentrale Stichwort. Wenn es jedoch um diskretionäre Sonderzahlungen geht, hilft auch Transparenz in Form einer detaillierten Begründung im Vergütungsbericht wenig weiter. Hier sehen Investoren üblicherweise den Pay-For-Performance-Ansatz unterlaufen.  

Auch Malus- und Clawback-Regelungen – also die Reduzierung bzw. Rückforderung von ausbezahlter Vergütung – werden nach wie vor viel diskutiert, oder? 

Dr. Jan Dörrwächter: Das kann man sagen. So ist bei den meisten Unternehmen ein sogenannter Performance Clawback vorgesehen, der die Rückforderung von ausbezahlter variabler Vergütung ermöglicht, wenn diese auf falschen Zahlen beruht. Wesentlich wichtiger ist aus Investoren-Sicht jedoch die Etablierung eines Compliance Clawbacks, der dann zur Anwendung kommt, wenn ein Fehlverhalten vorgelegen hat. Genau dem soll mit dem Clawback vorgebeugt werden.

Welche Rolle spielt denn die Implementierung von ESG-Kriterien und entsprechenden Zielen für ökologische und soziale Nachhaltigkeit?

Dr. Jan Dörrwächter: Eine große. Investoren pochen immer stärker darauf. Die Implementierung entsprechender Ziele ist in Österreich inzwischen auch Marktpraxis. Dennoch bleibt vielfach vage, welche Ziele hier tatsächlich festgelegt werden. Auch hier geht es um Transparenz. Da sehen wir, insbesondere mit Blick auf die Erwartungen internationaler institutioneller Investoren, Optimierungsbedarf. Es braucht relevante, ambitionierte und messbare Zielsetzungen, die aus der Unternehmensstrategie abgeleitet wurden, über die dann transparent berichtet wird, um auch einen branchen- oder industriespezifischen Vergleich zu ermöglichen.

Das Was ist das eine, aber beim Stichwort Transparenz geht es ja am Ende auch um das Wie – also die Darstellung. Wie sieht also eine optimale Berichtslegung aus?

Dr. Pia Lünstroth: Sie muss, wie jede andere Kommunikation auch, adressatengerecht sein. In diesem Fall: aktionärs- und investorenfreundlich. Es geht um eine nachvollziehbare Darstellung. Dies erreicht man beispielsweise durch ein Schaubild, das die Funktionsweise eines kompletten Vergütungssystems mit seinen Kernelementen erstmal grundlegend erläutert. So können Leserinnen und Leser, die nicht viel Zeit haben, direkt erkennen, ob ihre Anforderungen an das Vergütungssystem umgesetzt werden. Daran anschließend lassen sich die Einzelthemen in separaten Kapiteln detaillierter ausarbeiten. Wir empfehlen, auch dabei mit Grafiken und Tabellen zu arbeiten, um eben wesentliche Informationen auch optisch hervorzuheben. Im Fließtext gehen wichtige Informationen schnell unter.

Es klingt, als wäre beim Say on Pay also noch viel zu tun. Ist das AktRÄG als Instrument zur Umsetzung der zweiten europäischen Aktionärsrechterichtlinie in österreichischen Unternehmen überhaupt angekommen? Also ist der Umgang damit schon Routine?

Dr. Pia Lünstroth: Doch, doch, auf jeden Fall. Dadurch, dass jährlich über den Vergütungsbericht abgestimmt werden muss und nur alle vier Jahre – oder bei wesentlichen Änderungen – über die Vergütungspolitik, gibt es jetzt auch schon in Österreich eine Historie. Und es ist ja auch, wie anfangs besprochen, eine Menge passiert seitdem. Letztlich haben wir es aber immer mit einem Engagement-Prozess mit den Shareholdern des Unternehmens zu tun. 
Dr. Jan Dörrwächter: Es geht darum, unterschiedliche Interessen und Anforderungen in Einklang zu bringen und dabei zusätzlich den regulatorischen Rahmenbedingungen gerecht zu werden. Die Lösung dieses komplexen Unterfangens am Ende noch einfach und nachvollziehbar darzustellen, das ist und bleibt eine Herausforderung, egal wie viel Routine man bereits mit der Umsetzung gesammelt hat.

Frau Dr. Lünstroth, vielen Dank für das Gespräch.

 


 

Wenn Sie mehr wissen wollen, empfehlen wir Ihnen unsere Tutorial Reihe:

 

hkp/// group Corporate Governance Tutorials Austria

 

Tutorial 1: 07.09.2023 

Vergütungspolitik – Here we go again: Vorbereitung der Abstimmungen auf der Hauptversammlungssaison 2024

  • Lernen Sie aus Investorenkritik und ziehen Sie Lehren aus den Abstimmungsergebnissen seit 2020, um zukünftige eine hohe Zustimmungsrate zu erreichen.
  • Erfahren Sie aus erster Hand, welche Hot Topics von besonderer Bedeutung sind und wie Sie Ihre Vergütungspolitik optimal darauf ausrichten können.

 

Tutorial 2: 14.11.2023

How to Vergütungsbericht - Einblicke in Ausweispraxis und Investoren-Feedback

  • Erhalten Sie Einblicke in bewährte Marktpraktiken für den Ausweisung von Vergütungen und vermeiden Sie mögliche Fehler.
  • Nutzen Sie das Investoren-Feedback und gewinnen Sie wertvolle Erkenntnisse, um Ihren Vergütungsbericht noch ansprechender zu gestalten und das Vertrauen der Shareholder zu stärken.

 

Tutorial 3: 16.01.2024

Evergreen – Nachhaltigkeit im Aufsichtsrat

  • Erfahren Sie, wie Sie ESG-Ziele erfolgreich in der Vergütung verankert werden können und nachhaltige Unternehmenspraktiken mit Ihrem Aufsichtsrat vorantreiben können. Diese Aspekte gewinnen für Investoren zunehmend an Bedeutung und können den langfristigen Erfolg Ihres Unternehmens maßgeblich beeinflussen.

 

Tutorial 4: 20.02.2024

Ask me anything – Vergütungspolitiken und -berichte adressatengerecht gestalten

  • Rechtzeitig vor Finalisierung der Vergütungspolitiken und -berichte für die Hauptversammlung 2024 bieten wir Ihnen die Möglichkeit, in einer virtuellen Fragestunde Ihre Themen zu klären. Welche Trends gibt es in der Darstellung der Vergütungspolitik und des -berichts und wie unterstützen Sie ein positives Abstimmungsergebnis?

 

Tutorial 5: 12.03.2024

Need for perfection - Investorenerwartungen an den Aufsichtsrat und seine Mitglieder

  • Entdecken Sie die Investorenerwartungen an den Aufsichtsrat und seine Mitglieder hinsichtlich Kompetenzen, Unabhängigkeit und Overboarding und steigern Sie dadurch die Attraktivität Ihres Unternehmens für nachhaltig orientierte Investoren.
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Author Dr. Pia Lünstroth

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