Die Vorstandsvergütung steht seit einigen Jahren im besonderen Fokus von Investoren. Sie nutzen das Thema zunehmend als Hebel bzw. Einfallstor für die Einflussnahme auf die Governance von Unternehmen. Einblicke in die internationale Marktpraxis des Say on Pay von John R. Sinkular, Pay Governance LLC., und Regine Siepmann, hkp/// group.

Frau Siepmann, Herr Sinkular, warum interessieren sich Investoren für Vorstandsvergütung?
Regine Siepmann: Investoren geht es beim Setzen finanzieller Anreize für Vorstände weniger um die absolute Höhe der Bezüge, sondern vielmehr um die Frage, wie Unternehmen geführt werden und was deren Erfolg definiert. Vor diesem Hintergrund haben Aktionäre ein hohes Interesse an der Verbindung von Unternehmensperformance und Vorstandsvergütung und zu welchen konkreten Ergebnissen diese im Sinne realisierter bzw. realisierbarer Bezüge führt.

Gesetzgeber weltweit haben diese Relevanz aufgegriffen und im Nachgang der letzten großen Wirtschaftskrise in Gesetze münden lassen. Was waren die grundlegenden Intentionen?
John R. Sinkular: Die Motive waren hoch verschieden. In den USA sollten mit dem sogenannten „Dodd-Frank Act“ die durch Vergütung befeuerte Bereitschaft von Executives, unbotmäßige Risiken einzugehen, eingegrenzt werden. In der vergleichbaren Gesetzgebung außerhalb Nordamerikas stand dagegen der politische Wunsch im Vordergrund, die Höhen der Top-Management-Vergütung einzudämmen - dies vornehmlich in Kontinentaleuropa und insbesondere in Deutschland.

Als ein Mittel dabei wurde die Abstimmungen der Aktionäre zur Vergütung ihrer Unternehmensleitungen, das sogenannte Say on Pay, eingeführt. Mit welchem Erfolg?
John R. Sinkular: Das Say on Pay ist heute in nahezu allen Wirtschaftsnationen gelebte Praxis, wenngleich mit unterschiedlichen Ausprägungen: Es gibt sowohl das verpflichtende als auch konsultative Aktionärsvotum. Ob eine Abstimmung zur Vorstandsvergütung bindenden oder empfehlenden Charakter hat, ist letztlich unerheblich. Faktisch kann es sich kein Unternehmen leisten, eine unzufriedene Rückmeldung seiner Aktionäre und wichtigsten Investoren zu einem zentralen Governance-Aspekt zu ignorieren.
Regine Siepmann: In Deutschland sowie in den USA und in Kanada hat das Votum der Aktionäre nur empfehlenden Charakter. Andere Länder haben zu dem vermeintlich schärferen Schwert der verpflichtenden und bindenden Aktionärsabstimmung gegriffen. In Europa zählen neben Großbritannien u.a. Spanien und die skandinavischen Länder zu diesem Kreis. Auch in Japan steht die bindende Abstimmung zur Vorstandsvergütung auf der Agenda der Hauptversammlung börsennotierter Unternehmen. In anderen asiatischen Ländern ist die Say on Pay-Praxis dagegen weniger verbreitet.

Lassen Sie uns etwas genauer auf die unterschiedlichen Entwicklungen in den USA und in Europa bzw. Deutschland blicken. In den USA haben Aktionäre seit 2009 Jahr für Jahr mit deutlichen Mehrheiten die im Markt etablierten Vergütungssysteme für das Top-Management gestützt.
John R. Sinkular: Auch wenn es zu diesem Tagesordnungspunkt in der Regel hoch unterschiedliche Meinungen gibt, liegt die durchschnittliche Zustimmungsrate von Aktionären für die Vergütungssysteme in den im Russell-3000-Index notierten Unternehmen seit dem Jahr 2012 bei über 90 %. Die Ergebnisse reflektieren die funktionierende Ausgestaltung der Vergütungspläne, die sich seit 2009 im Sinne der Verbindung von Geschäftsstrategie mit Pay for Performance stetig verbessert hat. Hinzu kommt, dass sich viele Unternehmen auf im Markt bekannte Praktiken stützen und auf komplexe und erklärungsbedürftige Spezifika verzichten. Am Ende ist die Entwicklung auch ein Beleg für die langjährige Zufriedenheit der Aktionäre mit dem US-amerikanischen Governance- und Vergütungsmodell.

Was sind die Hintergründe für diese beeindruckende Entwicklung?
John R. Sinkular: Die meisten Unternehmen nehmen die Ausrichtung ihrer Executive Pay Programme an der langfristigen Wertschöpfung für ihre Aktionäre sehr ernst. Dabei spielt die kontinuierliche Verbesserung eine große Rolle. Nachvollziehbare und notwendige Anpassungen von Kennzahlen, Peer Groups etc. spielen dabei ein große Rolle. Dass dabei auch die Empfehlungen von ISS Berücksichtigung finden, kommt nicht von ungefähr. Aufgrund des signifikanten Einflusses des Stimmrechtsberaters steigt mit dessen negativem Urteil über ein Vergütungssystem die Gefahr einer generellen Ablehnung um durchschnittlich 30 %, selbst wenn bei einem Unternehmen eine ansonsten breite Unterstützung im Aktionariat gegeben ist. Letztlich haben in den letzten Jahren nur rund 2 % der Unternehmen im Russell 3000 Index eine Zustimmungsquote im Say on Pay von unter 50 % erzielt.

Welche Aspekte kritisieren Investoren bei US-Unternehmen insbesondere?
John R. Sinkular: Die Gründe für das Scheitern im Say on Pay sind vielfältig, wenngleich Muster deutlich werden. So zeigt sich, dass die betreffenden Unternehmen ihrem Top-Management Vergütungschancen eingeräumt haben, die deutlich über denen von vergleichbaren Unternehmen lagen oder ambitionierte Ziele vermissen ließen. Ein weiterer Grund ist ein zu gering ausgeprägter Link von Performance und Vergütung.

Wie intensiv war die Kritik an zu hohen Vergütungen?
John R. Sinkular: Sie hat in den USA eine Rolle gespielt, wie zum Teil extreme Beispiele belegen, wenn auch nicht in dem Maße wie in Europa und insbesondere in Deutschland. Kritik wurde vor allem bei regelmäßig ausbezahlten Vergütungen erheblich oberhalb des Marktmedians deutlich, insbesondere, wenn diese nicht durch entsprechende Risikoprofile bzw. Erfolge gedeckt waren. Auch fragwürdige Vergütungspraktiken wie hohe Garantievergütungen, die Herabsetzung von Zielen im laufenden Performance-Zyklus oder überhöhte Abfindungen bei vorzeitiger Vertragsauflösung sind zurecht kritisiert worden.

Wie steht es um die deutsche Perspektive auf das Say on Pay?
Regine Siepmann: Seit 2010 können börsennotierte Gesellschaften in Deutschland ihr System der Vorstandsvergütung gemäß § 120 Abs. 4 AktG freiwillig der Hautversammlung zur Billigung vorlegen. Das mit dem Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung eingeführte Say on Pay hat rein konsultativen Charakter: Der Aufsichtsrat setzt entsprechend seiner aktienrechtlichen Aufgabe die Vorstandsvergütung unter Berücksichtigung von § 87 AktG und Deutschem Corporate Governance Kodex (DCGK) fest und kann für das grundsätzliche System die Zustimmung der Hauptversammlung einholen. Ein derartiger Beschluss begründet dabei weder Rechte noch Pflichten, insbesondere da die Verpflichtungen des Aufsichtsrats nach § 87 AktG unberührt bleiben.

Mittlerweile hat jedes im DAX gelistete Unternehmen mindestens ein Say on Pay durchgeführt. Mit welchen Ergebnissen?
Regine Siepmann: Zunächst mit ähnlichen Zustimmungsquoten wie in den USA, also jenseits der 90 %. Seit 2016 ist jedoch ein deutlicher Rückgang der positiven Aktionärsvoten zu Systemen der Vorstandsvergütung zu beobachten. So mussten in 2017 mit Merck, Münchener Rück und ProSiebenSat.1 gleich drei DAX-Unternehmen eine Ablehnung ihrer Vergütungssysteme durch ihre Aktionäre hinnehmen.

Wie lässt sich diese Entwicklung erklären?
Regine Siepmann: Grund dafür ist neben einer generell stärkeren medialen Aufmerksamkeit für das Thema Vorstandsvergütung das deutlich aktivere Wirken der beiden einflussreichen Stimmrechtsberater ISS und Glass Lewis. Diese hatten empfohlen, über zwei Drittel der zur Abstimmung stehenden Vorstandsvergütungssysteme abzulehnen. Dies kam für viele Unternehmen überraschend. Obgleich alle Empfehlungen des DCGK erfüllt wurden, konnten vielfach die Ansprüche internationaler Investoren nicht erfüllt werden.

Der Einfluss von Stimmrechtsberatern ist also auch in Deutschland sehr hoch?
Regine Siepmann: Ja, vor allem bei den Engagements mittlerer und kleinerer Investmentgesellschaften. Große institutionelle Investoren definieren dagegen vielfach eigene Anforderungen an die Vergütung von Vorständen, wenngleich diese selten wirklich handlungsleitend formuliert und klar kommuniziert sind. Selbst von den 40 globalen Top-Investoren in DAX-Unternehmen bieten allein vier keinerlei Richtlinien öffentlich an.

Seit einigen Jahren ist zu beobachten, dass passiv veranlagte Investoren ihre Erwartungen an eine Renditeentwicklung in den Systemen zur Vorstandsvergütung verankern. Sehen Sie das ähnlich?
Regine Siepmann: In der Tat, in ihren Ansprüchen an die Ausgestaltung von Vorstandsvergütung gehen gerade global agierende Investoren vielfach über das von DCGK bzw. AktG geforderte Maß hinaus oder beziehen sich auf Best Practices in ihren Herkunftsregionen. Der bei angloamerikanischen Investoren vorherrschende Shareholder-Value-Ansatz stößt aber in Deutschland auf die Grenzen des § 87 Abs. 1 AktG, nach dem Vorstandsvergütung auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung auszurichten ist.

Sind die Kritikpunkte der Investoren bei in Deutschland börsennotierten Unternehmen deckungsgleich mit jenen bei in den USA gelisteten Unternehmen?
Regine Siepmann: Weitgehend ja, wobei immer wieder die Pay for Performance-Komponente eine zentrale Rolle spielt. Bemängelt wurde eine ungenügende Ausrichtung an Aktionärsinteressen, konkret ausgedrückt im Fehlen anspruchsvoller Erfolgsziele, relativer Vergleiche mit Wettbewerbern, einer etablierten Aktienkultur und von Clawback-/Malus-Regelungen. Auch zu kurze Performance-Perioden wurden angemahnt und eine mangelnde Transparenz in diesen Themen. Diskretionäre Vergütungselemente hingegen sind vielen angelsächsischen Investoren fremd oder prinzipiell ein Dorn im Auge.

Wird die europäische Aktionärsrechterichtlinie etwas an diesen Sachverhalten ändern?
Regine Siepmann: Mit Blick auf den Referentenentwurf des Gesetzes zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) ist absehbar, dass die Verlagerung der Zuständigkeit in der Vorstandsvergütung in Richtung institutioneller Investoren weiter voranschreiten wird. So soll laut dem Entwurf die Hauptversammlung künftig alle vier Jahre bzw. bei wesentlichen Änderungen der Vorstandsvergütung über diese abstimmen, ebenso jährlich über die Vergütung des vorausgegangenen Geschäftsjahres.

Beide Abstimmungen sind weiterhin nicht bindend...
Regine Siepmann: Im Fall einer Nicht-Billigung durch die Hauptversammlung ist jedoch auf der folgenden Hauptversammlung eine überprüfte Vergütungspolitik vorzulegen. Zusätzlich wird der Beschluss über den Vergütungsbericht anfechtbar sein. Mit der Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie erhalten Investoren auf deutschen Hauptversammlungen ein zusätzliches Instrument, ihre Vorstellungen in der Unternehmenssteuerung und Vorstandsvergütung zu verankern. Der in den letzten Jahren zunehmende Einfluss institutioneller Investoren wird sich somit weiter verstärken.

…und sich damit US-Verhältnissen annähern. Begrüßen Sie diese Entwicklung?
John R. Sinkular: Das Say on Pay wird in den USA seit fast zehn Jahren erfolgreich praktiziert. Diese Entwicklung hat letztlich auch die europäische und deutsche Politik dazu veranlasst, das Thema Vorstandsvergütung im Rahmen der Hauptversammlung an die Aktionäre zu übergeben. Aber die Intention, über diesen Weg eine Reduzierung von Vergütungshöhen für Unternehmensleitungen zu erzielen, wird sich dadurch nicht einstellen.

Warum sind Sie so kritisch?
John R. Sinkular: Global agierende institutionelle Investoren nehmen erfahrungsgemäß wenig Rücksicht auf nationale Besonderheiten. Sie interessiert auch weniger die absolute Höhe der Vergütungen, sondern vielmehr deren Erfolgsbezug.
Regine Siepmann: Hinzu kommt: Mit den entsprechenden Regelungen wird die Rolle der weiterhin für die Vorstandsvergütung persönlich haftenden Aufsichtsratsmitglieder untergraben. Das gerade in Deutschland eingeschwungene System der Vergütungs-Governance wird gezielt aus den Angeln gehoben. Gut gemeint ist einmal mehr nicht gut!

Frau Siepmann, Herr Sinkular, vielen Dank für das Gespräch.

Autor Regine Siepmann

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