Transformation, Disruption, Agilität und New Work – für die aktuellen Veränderungen in der Unternehmenswelt gibt es viele Buzzwords. Während Unternehmen große Anstrengungen betreiben, diesem Wandel gerecht zu werden, machen sich Start-ups diesen zunutze – und krempeln damit auch „die Großen“ um. Welche Rolle spielen digitale Lösungen und Start-ups in HR? Ein Gespräch mit Prof. Dr. Christian Gärtner, Wiesbaden Business School, und hkp/// group Managing Partner Michael H. Kramarsch.


Herr Professor Gärtner, Herr Kramarsch, wir befinden uns in technologisch bewegenden Zeiten: Wie wichtig sind digitale Tools für HR?
Christian Gärtner: Sehr! Mitarbeitende machen in ihrem privaten Leben positive Erfahrungen durch Unternehmen wie Zalando, Uber oder N26. Diese Dienste zeichnen sich dadurch aus, dass sie einfach zu bedienen sind, eine ansprechende User Experience bieten und Algorithmen nutzen, die uns als hilfreich erscheinen, angefangen beim Einkaufen, der Bewegung von A nach B bis hin zur Abwicklung von Finanzgeschäften. Das hat natürlich auch Konsequenzen für das Personalmanagement, dessen Kunden – die Belegschaft – entsprechende Erwartungen mitbringen.

Wie sehen diese konkret aus?
Michael H. Kramarsch:
Es fängt damit an, dass beispielsweise niemand seinen Urlaubsantrag ausdrucken möchte, um diesen dann mit der Hauspost auf Reisen zu schicken. Diesen Prozess zu digitalisieren bringt Effizienz: Traditionelle HR Arbeit im digitalen Gewand – wenn sie so wollen. Transformation kommt aus anderen Richtungen. Denken Sie an real-time People Analytics, selbstorganisierte Vernetzung in Unternehmen oder sogar über deren Ränder hinaus. Es geht auch insgesamt um einen ganz anderen Umgang mit Daten. Innovative Start-ups verändern mit ihren Tools aktuell wie wir Unternehmen organisieren und Menschen vernetzen. Dramatisch positiv beschrieben: Sie entfesseln die Potenziale des Menschen in Organisationen.
Christian Gärtner: Mit der Digitalisierung von Prozessen und Services bei gleichzeitiger Fokussierung einer optimalen User-Experience erhält HR somit die Chance, Innovationen aktiv voran zu treiben.

Wie müssen Unternehmen vorgehen, um dieses Potenzial zu nutzen?
Christian Gärtner: Entscheidend ist zunächst einmal, zu welchem Zweck ein Tool verwendet werden soll. Künstliche Intelligenz nur einzusetzen, weil man gerne Künstliche Intelligenz oder kurz KI einsetzen will, ist natürlich Unsinn.

…was aber schon vorgekommen sein soll.
Christian Gärtner: Insofern ist es wichtig, zunächst ein sinnvolles Einsatzgebiet zu identifizieren und sich zu fragen, ob Technologie in Form von Algorithmen und Automatisierung hier wirklich einen profunden Mehrwert bietet. Ob damit z.B. die Ressourcen-Effizienz verbessert, die Effektivität erhöht oder die Nutzererfahrung, neudeutsch die Employee Experience, reibungsloser gestaltet werden kann. Danach gilt es, den Markt sorgsam zu scannen.
Michael H. Kramarsch: Vor allem im Bereich algorithmischer Lösungen – gerne als „ KI“ bezeichnet – zum Beispiel für die Bewerberauswahl oder in der Personaldiagnostik, sollten vor dem Einsatz unterschiedlichste Fragestellungen geklärt werden. Dies betrifft auch ethische Aspekte, die nicht durch die Gesetzgebung abgedeckt sind. Bei dem Einsatz von Technologie geht es in der Personalarbeit immer um Entscheidungen über Menschen. Der Maßstab für die Güte der eigesetzten Technologien sollte entsprechend hoch angesetzt werden. So hat kürzlich der Ethikbeirat HR-Tech einen Entwurf zu ethischen Richtlinien in der Personalarbeit herausgegeben. Diese sollen Unternehmen und Entwicklern eine Orientierung geben, wie KI-Lösungen und weitere digitale Technologien verantwortungsvoll im HR-Management eingesetzt werden können.

Gibt es denn hier auf Anbieterseite viel nachzubessern?
Christian Gärtner: In Deutschland gibt es zahlreiche Start-ups mit innovativen HR-Lösungen, die jetzt schon die anspruchsvollen Richtlinien des Ethikbeirats HR-Tech erfüllen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch einige Angebote, bei denen es sehr fraglich ist, ob alle Richtlinien und Normen eigehalten werden.
Michael H. Kramarsch: Insbesondere in den HR-Abteilungen wird mit sensiblen personenbezogenen Daten gearbeitet. Hier stößt die Geschwindigkeit der digitalen Transformation auf die regulierte Welt des Datenschutzes – oft ein Balanceakt zwischen technologischem Fortschritt und der Einhaltung sowohl ethischer als auch rechtlicher Aspekte. Aber das Gute daran: Wer es als HR Startup in Deutschland schafft mit DSGVO, Arbeitsrecht und Mitbestimmung, der schafft es überall!

Muss die Euphorie der technologischen Revolution in HR folglich etwas gebremst werden?
Christian Gärtner: Wie bereits erwähnt, bewegen wir uns gerade in Deutschland in einem Umfeld, das tolle HR-Technologien hervorgebracht hat und weitere innovative Lösungen stehen bereits in den Startlöchern. Euphorie wirkt ja mitunter auch vitalisierend! Unternehmen sollten sich jedoch erstmal einen Überblick verschaffen: Wozu benötige ich überhaupt eine neue Technologie? Was sind unsere Standards und Anforderungen? Und welche Anbieter gibt es?
Michael H. Kramarsch: Ich kann Herrn Gärtner da nur zustimmen. Als Mitinitiator und Jurypräsident des HR Start-up Awards habe ich die große Freude, mir nächstes Jahr zum fünften Mal ein breites Bild von der HR Start-up Landschaft in Deutschland machen zu dürfen. Und bislang hat jedes Jahr das vorherige in puncto Innovationsfreude übertroffen. Zumal die meisten HR-Start-ups bisher lediglich auf Crawling-, Matching- oder Parsing-Technologien zurückgreifen. In Zukunft werden wir sicherlich weitere und ausgereiftere Use-Cases von Start-ups zu Wearables, Blockchain oder anderen Zukunftstechnologien sehen.
Christian Gärtner: An der Wiesbaden Business School untersuchen wir regelmäßig, wie sich die HR Start-up-Welt entwickelt und wie etablierte Unternehmen deren innovative Technologien nutzen. Ich bin mir sicher, dass HR-Tech in der zukünftigen Arbeitsgestaltung eine noch bedeutendere Rolle spielen wird als bisher.

Herr Professor Gärtner, Herr Kramarsch, herzlichen Dank für das Gespräch!

 

Autor Michael H. Kramarsch

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