Die Digitalisierung erschließt neue Welten: HR macht Individualität zum neuen Standard, fokussiert auf externe Kunden und prägt maßgeblich geschäftlichen Erfolg. Geht das mit alten Strukturen und Konzepten? Nein, HR muss sich neu definieren! Im digitalen Zeitalter nehmen die Anforderungen an die Agilität von Organisationen deutlich zu. Der Fokus verändert sich spürbar von effizienzorientierten Strukturen hin zu beweglichen, anpassungsfähigen Netzwerken. Projektbasiertes Arbeiten, interdisziplinäre Teams, hohe externe Kundenorientierung charakterisieren moderne und erfolgreiche Unternehmen. Daten werden genutzt, nicht vermieden.

Was heißt das für HR und wie muss es sich aufstellen? …jedenfalls nicht mehr in drei Säulen!
HR muss zur DNA des Unternehmens passen. Das klassische Drei-Säulen-Modell zeichnet sich durch hohe Arbeitsteiligkeit und starre Strukturen aus. Es ist ein Fremdkörper in agilen Organisationen, weil es in erster Linie auf operative Exzellenz und Effizienz zielt, nicht auf Agilität. Für stabile Organisationen mit klaren Strukturen und Hierarchien mag es geeignet sein, nicht jedoch für bewegliche Unternehmen mit explorativen Netzwerken.
Projektbasiertes Arbeiten? Woher soll HR die Projektressourcen nehmen, wenn nicht zu Lasten der operativen Aufgaben? Zumal wenn Kosten- und FTE-Einsparungen kaum noch Luft zum Atmen lassen. Interdisziplinäre Teams? Fehlanzeige im klassischen Drei-Säulen-Modell. Es zählt die Spezialisierung.

Kundenorientierte End-to-End-Einheiten lassen das Drei-Säulen-Modell bereits erodieren
In der Tat: Drei-Säulen-Modelle in Reinform existieren kaum noch. Abweichungen halten zunehmend Einzug, zum Beispiel im Recruiting: Mit der Verschiebung der Marktmacht zum Kandidaten wird es mehr und mehr zu einem empfindlichen Schmerzpunkt für viele Unternehmen. In der Center of Expertise-Säule finden sich Eignungsdiagnostiker, die keine direkte Rückmeldung aus der Praxis und vom Kunden haben und zunehmend die Bodenhaftung verlieren; in der nächsten Säule finden sich die Business Partner, die Auswahlgespräche führen und in Wachstumsphasen mit hohen Einstellungsbedarfen das operative Geschäft vernachlässigen; und schließlich die Mitarbeiter im Service Center, die das Bewerbermanagement durchführen.
Dass es in dieser hohen Arbeitsteiligkeit zu fragmentierten Prozessen, Verzögerungen und einer wenig vorteilhaften Kandidatenerfahrung kommt, überrascht nicht wirklich. Recruiting-Einheiten mit End-to-End-Verantwortung haben sich dagegen als valide Alternative zum Säulenmodell bewährt.
Wie passt diese Entwicklung mit dem „one face to the customer“-Ansatz zusammen? Wenn mit Customer der interne Kunde gemeint ist, gar nicht. Wenn mit Customer jedoch der externe Kandidat gemeint ist, sehr viel besser. Und so gibt es neben dem Recruiting weitere Beispiele von kundenorientierten End-to-End-Einheiten in HR, die in der Praxis erfolgreich sind: Dazu gehören häufig Teams, die sich um Top Executives oder International Assignees kümmern.


Abb. 1: Das neue Modell: embedded & connected HR

Digitalisierung verschiebt die Gewichte zwischen den Säulen
Ein höherer Automatisierungsgrad reduziert die für transaktionale und administrative Tätigkeiten erforderlichen HR-Kapazitäten. Auch Front-Office-Tätigkeiten wie die Beantwortung von Mitarbeiteranfragen können zunehmend intelligente Chatbots übernehmen.
Damit macht der Einzug von künstlicher Intelligenz den Einsatz von FTEs für Service-Aufgaben perspektivisch obsolet. Das mit Menschen besetzte Service Center im klassischen Drei-Säulen-Modell verschwindet. Selbst Fragen von Führungskräften, die auf prozessuale Themen bezüglich ihrer Mitarbeiter abzielen (z. B. ein Mitarbeiter möchte seine Arbeit auf Teilzeit reduzieren), können mithilfe künstlicher Intelligenz von Maschinen übernommen werden.
Wird damit auch der Business Partner vollständig durch Roboter ersetzt? Nein – nur die enger definierte „HR-Partner“-Rolle. Anders ausgedrückt: Die Business Partner können sich voll auf ihre Business-bezogene Rolle fokussieren.

Das neue Modell: embedded & connected HR
Die Unternehmens-DNA prägt das neue Organisationsmodell von HR. Kundenzentrierte End-to-End-Orientierung in agilen Organisationen, die sich in kleinen, beweglichen, temporär und interdisziplinär zusammengesetzten Einheiten reflektieren, erfordern eine ebensolche Aufstellung von HR. Ein Team von HR-Experten, das neben klassischen HR-Kompetenzfeldern auch People Analytics abdeckt und sich wie folgt organisiert: Zum einen in flexiblen End-to-End-Einheiten für definierte Zielgruppen wie Potenzialträger oder externe Kandidaten. Zum anderen direkt eingebettet in cross-funktionale Teams mit klarem externen Kundenfokus (Abb. 1).
Um diesen Ansatz konkret zu machen, ein Beispiel: Ein Dienstleister entwickelt für einen global agierenden Markenartikler ein vollintegriertes Logistiksystem – von E-Fulfillment über die automatische Retouren-Abwicklung hin zum weltweiten IT-Tracking der Ware. Dazu sind Kompetenzen aus Logistik, IT und Engineering notwendig und – im Hinblick auf Workforce-Bedarfe, Mobility-Lösungen etc. – eben auch aus HR. Ob diese Kompetenz nun direkt über einen HR-Experten im Team vertreten sein muss oder über die Vernetzung mit entsprechender HR-Expertise, ist im Einzelfall zu entscheiden. Wichtig ist der intuitive Zugriff auf HR-Wissen und -Analytics.
In jedem Fall wird projektbasiertes Arbeiten für den externen Kunden und im Rahmen von Veränderungs- und Transformationsvorhaben die dominierende Arbeitsform für HR sein, so wie für andere Disziplinen auch. Rotationen und Rollenwechsel – innerhalb von HR und cross-funktional – werden zur Regel. Die Grenzen zwischen den Disziplinen werden dadurch nicht nur durchlässiger, sie verschwimmen zunehmend.

HR kann sich neu positionieren
Vom Prozess-Fokus zum Mitarbeiter-Fokus – Individualität als neuer Standard
Effizienzeffekte in heutigen HR-Geschäftsmodellen werden zu wesentlichen Teilen über die Standardisierung von Prozessen oder Prozessanteilen und die anschließende Verlagerung in Shared Services erzielt. Dieser Zwang zur Standardisierung existiert so in einer digitalen Welt nicht mehr oder nur noch in viel geringerem Maße. Denn die mit künstlicher Intelligenz ausgestattete Maschine hat sofort die individuellen Mitarbeiterdaten parat und erkennt auch in heterogenen Regelungslandschaften, welcher Prozess und welche Policy im konkreten Fall greifen.
Damit sind Flexibilisierung und Individualisierung keine Kostentreiber mehr, sondern können in einer agilen Welt aufblühen und ihre positive Wirkung voll entfalten: positiv im Sinne der spezifischen Anforderungen von auch kleinen, dezentralen und flexiblen Business-Einheiten sowie positiv im Sinne der individuellen Mitarbeitererfahrung. Individualität ist der neue Standard (Abb. 2).

Vom Human Resource Manager zum Total Workforce Manager
Was für den Rollenwechsel und das projektbasierte Arbeiten gilt, trifft nicht nur innerhalb der Unternehmen zu. Auch Wechsel zwischen Unternehmen und projektbasierte Einsätze für wechselnde Unternehmen werden zunehmen.
Mag die Gig Economy noch nicht flächendeckend spürbar sein, so erfordert die zunehmende Agilität einer Organisation in jedem Fall aber eine Flexibilisierung der Workforce. Ob Mitarbeitende nun Angestellte sind oder als Externe Rechnungen schreiben – sie bilden zusammen die Arbeitskräfte des Unternehmens. Und für diese sogenannte Total Workforce wird HR in der Verantwortung sein, für ihre Leistungsfähigkeit und Agilität zu vernünftigen Kosten – und nebenbei auch für die korrekte Abrechnung.

Vom Berater zum Verantwortlichen
Vor einigen Jahren hat der CHRO eines großen Konsumgüterherstellers von seinem Team gefordert: Hört auf zu beraten, übernehmt Verantwortung! Wer agil sein und die Agilität des Unternehmens vorantreiben will, muss diesen Paradigmenwechsel vollziehen. Warum sollte die HR-Rolle im Rahmen der Zusammenarbeit in kundenzentrierten und interdisziplinären Teams nur eine beratende Rolle sein?
Sie muss mehr sein! Das Team verantwortet gemeinsam die Ergebnisse. Und lässt sich am Erfolg, etwa im Sinne Kundenzufriedenheit und -bindung, Wachstum oder Profitabilität messen. Das gilt für alle Disziplinen. HR bildet da keine Ausnahme.

Vom Personalbetreuer zum Organisationsentwickler
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Verantwortung zu übernehmen, heißt nicht, den Führungskräften ihre Aufgaben wegzunehmen oder Mitarbeiter aus ihrer Verantwortung für die eigene Entwicklung zu entlassen. HR darf nicht (mehr) den Babysitter spielen. Das wäre kontraproduktiv.
Zudem entscheiden in der digitalen Welt organisationale Fähigkeiten viel stärker über den Erfolg als individuelle – und müssen deswegen im Fokus von HR stehen. Wenn HR es schafft, die erforderlichen Kompetenzen und Kultur für die digitale Welt zu entwickeln, dann ist das schon die halbe Miete.
Vom Datenschützer zum Datennutzer
Die Zeiten, in denen eine Führungskraft die Personalabteilung höflich um Auskunft ersuchen musste, wenn sie die Gehaltsdaten ihrer Mitarbeiter benötigte, sind zum Glück passé. Self Services ermöglichen inzwischen den rollengerechten Zugriff auf erforderliche Daten. Auch ganze Prozesse, wie die Durchführung einer Gehaltsrunde, laufen nun im Wesentlichen innerhalb der jeweiligen Führungsstrukturen, ohne dass HR selbst Hand anlegen müsste (zumindest, wenn Policies und Rahmendaten stehen).
Aber nicht jedem Personalbereich ist das Loslassen leichtgefallen, mancher war gar in Sorge um seine Existenz. Auch ist diese Entwicklung noch längst nicht abgeschlossen: Die Verantwortung für die eigenen Daten gehen zunehmend zum Mitarbeiter über, der dann umgekehrt dem HR-Bereich Zugriff auf diese Daten gewährt – ein kompletter Rollentausch.

Von Governance zu Transparenz
Ein Eckpfeiler der digitalen HR-Transformation ist People Analytics, die Disziplin, aus einer Vielzahl von auch unstrukturierten Daten Erkenntnisse zu Stellhebeln für individuellen und organisationalen Erfolg – und letztlich Business Impact – zu ziehen. Sie verändert die Rollen, die HR im Business spielt.

  • Wenn der Führungskraft im Self Service eine aussagekräftige Heatmap über Retention-Risiken im eigenen Team zur Verfügung steht und Maßnahmenoptionen mit prognostizierten Auswirkungen vorgeschlagen werden, ...
  • Wenn die Erfolgswahrscheinlichkeiten von Rollenwechseln und Beförderungen fundiert aufgezeigt werden können, ...
  • Wenn die Auswirkungen von Mitarbeiter-Engagement auf Kundenzufriedenheit und Umsatz transparent sind, ...

... dann steuern diese datenbasierten Erkenntnisse das Verhalten von Führungskräften und personalbezogene Entscheidungen maßgeblich und in zielführender Weise. HR muss nicht mehr die „Governance-Keule“ schwingen, wenn Transparenz über Wirkungszusammenhänge regiert.


Abb. 2: Zunehmender Fokus auf den individuellen Mitarbeiter

Wer aktuell ein Drei-Säulen-Modell einführt, macht noch lange nichts falsch
Im HR-Geschäftsmodell muss sich die DNA des Unternehmens wiederfinden. Wenn sich ein Unternehmen operative Exzellenz über einheitliche, standardisierte Prozesse verordnet, dann ist das Drei-Säulen-Modell erste Wahl für HR. Auch wenn ein Unternehmen zwei Geschwindigkeiten fährt – mit Labs, Inkubatoren oder digitalen Einheiten auf der einen und konventionellen Bereichen auf der anderen Seite – dann ist für den operativen HR-Betrieb der konventionellen Bereiche ebenfalls das Drei-Säulen-Modell eine valide Option.
Allerdings verschiebt sich derzeit der Fokus generell von Effizienz und operativer Exzellenz hin zu Agilität. Damit werden „Change-the-Business“-Kompetenzen gegenüber „Run-the-Business“-Kompe-
tenzen immer erfolgskritischer. Das reflektiert sich auch in den Anforderungen an HR.
HR muss deutlich agiler werden, um Transformationsvorhaben wie Digitalisierung, Restrukturierungen, Zukäufe oder den Aufbau neuer Standorte mitzugestalten, ohne dabei die operativen Aufgaben zu vernachlässigen. Die Mobilisierung der erforderlichen Ressourcen auf HR-Seite darf keine Monate mehr dauern, sondern muss ad hoc geschehen. Hier stößt das Drei-Säulen-Modell an seine Grenzen.


Abb.3: Absehbare Verschiebungen in der Positionierung von HR

Wie die Transformation gelingt
Wenn ein Unternehmen seine organisationale Agilität steigert, sollte HR Schritt halten und Zug um Zug ein embedded & connected Modell etablieren. Dazu sind Kapazitäten für projektbasiertes Arbeiten aufzubauen. Durch Digitalisierung und den Einzug von künstlicher Intelligenz können diese zu einem gewissen Anteil aus einem bestehenden Drei-Säulen-Modell „ausgeschwitzt“ werden – aufgrund der geringeren FTE-Bedarfe in der Service- und Business-Partner-Säule, wie zur Verschiebung der Gewichte zwischen den Säulen beschrieben.
Große Hoffnung, dass sich dieser Effekt schnell einstellen wird, sollte allerdings niemand haben. Jedenfalls wird sich der Bedarf an projektbasierten Kapazitäten und Kompetenzen in der Regel deutlich schneller entwickeln als die Produktivität durch den Einzug von künstlicher Intelligenz wächst. 30% der HR-Kapazitäten für cross-funktionale Projekte einsetzen zu können – ohne neue Kapazitäten aufzubauen – bedeutet zunächst, 30% der verfügbaren Kapazitäten einzusparen.
Wie kann das gelingen? Im Wesentlichen über das Abwerfen von Ballast. Eine konsequente Bereinigung des HR-Produktportfolios bewirkt wahre Wunder. Und die Einführung einer aktiven Portfoliosteuerung sollten HR-Bereiche im Zuge einer Professionalisierung ohnehin auf der Agenda haben.

Ein digitalisiertes HR macht Unternehmen agil
Die Digitalisierung führt nicht nur zu einem höheren Automatisierungsgrad der HR-Arbeit, sie verändert die Beziehung von HR zu seinen Kunden. Und sie verändert HR, und das grundlegend. Zwar wird das Drei-Säulen-Modell noch eine Weile optimiert. Doch es löst sich auf. Seine Bausteine werden neu sortiert.
HR-Services können perspektivisch vollautomatisiert abgerufen werden. Und vor allem werden HR-Prozesse durchgehend in der Verantwortung von HR liegen, das sich mit einer hohen Gestaltungskraft unmittelbar in die Strategie- und Business-Diskussion einbringen kann: „embedded & connected HR“ macht dies möglich.
Das bringt Tempo in das unternehmerische Denken und Handeln auf den Chef-Etagen, in innovative Projektgruppen und die Führungsarbeit. Es verknüpft Business und HR unmittelbar miteinander. Dieser Umbruch braucht Zeit. Doch er kommt. Und er wird Unternehmen erst so richtig agil machen.


Abb.4: Die Grundprinzipien der digitalen HR-Transformation

* Photo by Helloquence on Unsplash
Autor Johannes Brinkkötter

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