[Anm. d. Red.: Die gesamte Stellungnahme inkl. Fußnoten steht hier zum Download bereit] 

Sehr geehrter Herr Professor Nonnenmacher,

für die Möglichkeit, im Rahmen des Konsultationsverfahrens der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex zum Entwurf eines geänderten Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK-E) eine Stellungnahme abgeben zu können, möchten wir uns bedanken. Die unter Ihrer Leitung nach Vorliegen des DCGK-E erstmals durchgeführten Anhörungen der Kommission stellen ein weiteres wichtiges Mittel zum Austausch mit einer interessierten und sachverständigen Öffentlichkeit dar und werden von uns begrüßt.

Die langjährige Arbeit der Kommission und die erfolgten Weiterentwicklungen des Kodex seit 2002 haben einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass Deutschland weltweit eine führende Position im Bereich der Corporate Governance erlangen konnte. Der Kodex weist aktuell bereits ein sehr hohes inhaltliches Niveau auf, das international als Vorbild herangezogen wird, und das sich in der Vergangenheit als praxistauglich erwiesen hat.

Wir halten die grundsätzliche strukturelle und inhaltliche Neufassung des Kodex für einen wichtigen und prinzipiell zu begrüßenden Schritt. Die durch die Intensität der Überarbeitung fehlende Anschlussfähigkeit an die bestehende Fassung des DCGK führt zwangsläufig zu einer intensiven Diskussion. Das ist im Interesse einer breiten Diskussion zu Fragen der Corporate Governance zu begrüßen. Durch die Vielzahl der Änderungen bei gleichzeitiger Neufassung wichtiger aktienrechtlicher Rahmenbedingungen ist es dabei zu Inkonsistenzen gekommen, die im Konsultationsverfahren nun vorgebracht werden können.

In unserer Stellungnahme konzentrieren wir uns auf Fragen der Vergütung und damit zusammenhängende Sachverhalte. Wir möchten vorab ganz grundsätzlich zu bedenken geben, ob die Bedeutung von Vergütungsfragen im Rahmen der gesamten Corporate Governance mit etwa einem Drittel der Empfehlungen und Grundsätze nicht überschätzt wird bzw. in einem Missverhältnis zu bedeutenderen Fragen steht.

I. Allgemeines: Einführung von Grundsätzen mit „apply & explain“ (A.19)

„Aufsichtsrat und Vorstand sollen erläutern, auf welche Weise sie die Grundsätze des Kodex anwenden („apply and explain“).“

Der DCGK-E führt mit den Grundsätzen, für die das „apply and explain“-Prinzip gelten soll, eine völlig neue Normkategorie ein. Dabei bleibt unklar, welchen Umfang und konkreten Inhalt die von Aufsichtsrat und Vorstand verlangte Erläuterung, auf welche Weise sie die Grundsätze des DCGK-E anwenden, haben soll. Jedenfalls dürfte es sich um eine eigenständige Berichtspflicht handeln, die für Fragen der Vorstandsvergütung zusätzlich zum neuen Vergütungsbericht gemäß § 162 AktG-E in der Fassung des Referentenentwurfs des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (im Folgenden: RefE) des Gesetzes zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (im Folgenden: ARUG II) steht. Es erscheint fraglich, welchen Mehrwert es schaffen soll, wenn Unternehmen künftig die Erfüllung überwiegend gesetzlicher Anforderungen in einem separaten Bericht beschreiben sollen und welchen Mehrwert die Kommission im Vergleich zum Vergütungsbericht nach § 162 AktG-E erkennt. Im Zweifel werden viele Unternehmen versucht sein, hier auf formelhafte Aussagen ohne inhaltliche Substanz zurückzugreifen.

→ Wir erkennen im „apply and explain“ keinen Mehrwert und empfehlen, dieses Konzept aufzugeben (Streichung der Empfehlung A.19).
 

In der Begründung konkretisiert die Kommission die Empfehlung A.19 DCGK-E dahingehend, dass erläutert werden soll, wie den die jeweiligen Grundsätze betreffenden Empfehlungen und Anregungen gefolgt wird. Damit müssten Unternehmen künftig auch in Fällen, in denen sie einer Empfehlung oder einer Anregung entsprechen, eine Erklärung zu ihrer Befolgung, nämlich zum „Wie“ der Entsprechung, abgeben. Hierdurch wird nicht nur das Prinzip des „comply or explain“ ausgehebelt, wonach nur bei einer Abweichung von Empfehlungen eine Erklärung erforderlich ist (s. § 161 AktG). Vielmehr wird darüber hinaus, weil auch die Befolgung von Anregungen erläutert werden soll, die Nichtbefolgung von Anregungen quasi erklärungspflichtig und damit die bewährte Differenzierung zwischen Empfehlungen und Anregungen verwässert.

→ Wir vermuten Unschärfen in der Formulierung von A.19 DCGK-E. Sollte Empfehlung A.19 nicht gestrichen werden, empfehlen wir, zumindest deutlich zu formulieren, dass Anregungen weiterhin ohne Abweichungserklärung nicht entsprochen werden muss. Des Weiteren empfehlen wir für diesen Fall, in der Erläuterung zu Empfehlung A.19 die Bezugnahme auf Anregungen zu streichen.


Soweit die Grundsätze ferner – etwa im Bereich der Vorstandsvergütung – Vorgaben enthalten, die sich nicht in einer bloßen Wiederholung gesetzlicher Vorgaben erschöpfen, ist zudem ihr unbedingter Geltungsanspruch fraglich. Das gilt z. B. für Grundsatz 28, soweit dieser vorsieht, dass der Aufsichtsrat vorab für jedes Vorstandsmitglied die konkrete Maximal-Gesamtvergütung festlegt. Das Aktiengesetz fordert in § 87 Abs. 1 Satz 3 Hs. 2 AktG lediglich die Vereinbarung einer Begrenzungsmöglichkeit der Vergütung für außergewöhnliche Entwicklungen. Hieraus ergibt sich nach der fast einhelligen Meinung in der juristischen Literatur keine zwingende Verpflichtung zur Festlegung einer Maximalvergütung.

Vielmehr kommen neben einer Höchstgrenze auch andere Gestaltungen in Betracht, etwa ein allgemeiner Vorbehalt des Aufsichtsrats. Die Vermischung gesetzlicher Anforderungen und eigener Vorstellungen der Kommission in den Grundsätzen – mögen diese auch aus internationalen Vergleichen abgeleitet sein – führt für die betroffenen Unternehmen zu Unklarheit mit Blick auf zwingend einzuhaltende Vorgaben.

→ Sofern unserer Empfehlung, vom „apply and explain“-Prinzip abzusehen, nicht entsprochen wird, sollten sich die Grundsätze eindeutig auf die ausschließliche Wiedergabe gesetzlicher Bestimmungen beschränken.
 

II. Vorstandsvergütung

1. Fehlende Abstimmung mit dem ARUG II
Der DCGK-E ist jedenfalls in Teilen nicht mit dem RefE des ARUG II abgestimmt. So geht der RefE mit teils sehr detaillierten Vorgaben und Definitionen auf die nach § 87a AktG-E durch den Aufsichtsrat zu erarbeitende Vergütungspolitik sowie den durch Vorstand und Aufsichtsrat gemäß § 162 AktG-E zu erstellenden Vergütungsbericht ein. Diese werden im DCGK-E teilweise gar nicht aufgegriffen. So spricht z. B. der DCGK-E nach wie vor von Vergütungssystem, anstatt den durch die 2. Europäische Aktionärsrechterichtlinie (ARR) sowie den RefE des ARUG II eingeführten Begriff der Vergütungspolitik zu verwenden.

Umgekehrt geben spezifische Berichtspflichten im DCGK-E nicht die nach dem RefE des ARUG II geplanten Regelungen wieder. Das gilt etwa für Empfehlung D.6 DCGK-E, die weitgehend unverändert aus der bisherigen Kodex-Fassung übernommen wurde und damit nicht mit § 87a Abs. 1 Ziff. 7 AktG-E harmonisiert ist, wonach die Vergütungspolitik eine Erläuterung enthalten muss, wie die Vergütungs- und Beschäftigungsbedingungen der Arbeitnehmer bei der Festsetzung der Vergütungspolitik berücksichtigt wurden.

→ Wir empfehlen, den DCGK-E auf das ARUG II anzupassen und mit diesem zu harmonisieren.
 

2. Unterschiedliche Vergütungsstruktur (D.4)

„Das Verhältnis von Festvergütung und variablen Vergütungselementen soll die unterschiedlichen Anforderungen an die Aufgaben der jeweiligen Vorstandsmitglieder berücksichtigen.“

Bedenken bestehen gegen die Empfehlung, wonach das Verhältnis von Festvergütung und variablen Elementen die unterschiedlichen Anforderungen an die Aufgaben der jeweiligen Vorstandsmitglieder berücksichtigen soll. Wie aus der Begründung des DCGK-E ersichtlich, soll diese Empfehlung grundsätzlich zu unterschiedlichen Relationen von fixer und variabler Vergütung der einzelnen Vorstandsmitglieder führen. Diese Empfehlung lässt zunächst die Gesamtverantwortung des Vorstands, die sich in der zwingenden Zuweisung der Leitung des Unternehmens nach § 76 AktG an den Vorstand als Gesamtorgan sowie in der i. d. R. gemeinschaftlichen Geschäftsführung (§ 77 Abs. 1 AktG) ausdrückt, außer Acht. Hiermit wird ohne Not erheblich in unternehmensindividuelle Entscheidungen eingegriffen. Organisiert sich ein Unternehmen z. B. entlang der Wertschöpfungskette und nicht in eigenständigen Geschäftssegmenten, kann eine gemeinschaftliche und gerade nicht-unterschiedliche Incentivierung unternehmensstrategisch geboten sein.

Auch geben wir zu bedenken, dass bei vielen kleineren Unternehmen oft nur zwei bis drei Vorstände bestellt sind und auch dieser Sachverhalt Konstellationen erkennen lässt, in denen eine strukturelle Gleichvergütung sehr sinnvoll ist.

→ Wir empfehlen, diese Empfehlung dahingehend umzuformulieren, dass der Aufsichtsrat das angemessene Verhältnis von Fest- und variabler Vergütung für jedes Vorstandsmitglied bestimmen soll. In den Erläuterungen empfehlen wir, klarzustellen, dass auch eine einheitliche Relation der Fest- zur variablen Vergütung für alle Vorstandsmitglieder ohne Erklärung einer Abweichung möglich sein kann.
 

3. Langfristig variable Vergütung (D.7 und D. 9)

„[…] Die langfristig variable Vergütung soll (nach Abzug anfallender Steuern) in Aktien der Gesellschaft gewährt werden, die mindestens vier Jahre lang nicht veräußert werden können.“

„Die langfristig variable Vergütung soll vor allem Anreiz zur Umsetzung strategischer Maßnahmen sein. Die entsprechenden Ziele sollen sich deshalb aus der aktuellen strategischen Planung für das betreffende Geschäftsjahr ableiten. […]“
Grundsätzlich abzulehnen ist das Modell des DCGK-E für die langfristig variable Vergütung, und zwar im Wesentlichen aus den folgenden Gründen:

a) Einheitsmodell
Es ist sachlich nicht gerechtfertigt, allen ca. 450 deutschen börsennotierten Unternehmen ein einheitliches Modell für die Langfristvergütung vorzugeben. Dieses Vorgehen wird den erheblichen Unterschieden zwischen den Unternehmen bei Geschäftsmodell, Eigentümerstruktur, Größe, Marktumfeld sowie der konkreten Unternehmenssituation (z. B. Wachstum oder Restrukturierung) nicht im Ansatz gerecht.
Vielmehr ist der Aufsichtsrat jedes einzelnen Unternehmens in der Pflicht, im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben ein auf die Bedürfnisse dieses Unternehmens abgestimmtes und diesen Bedürfnissen entsprechendes Vergütungssystem zu entwickeln. Diesen Prozess sollte der DCGK-E durch aus Best Practice abgeleitete Leitlinien unterstützen, den Unternehmen aber nicht ein Einheitsmodell vorschreiben. Dass dieses Modell den Bedürfnissen der meisten Unternehmen nicht gerecht werden dürfte, ist schon allein daran erkennbar, dass vermutlich kein Unternehmen und z. B. kein einziges der 30 im DAX notierten Unternehmen derzeit über ein derartiges Vergütungsmodell verfügt. Fast alle vom DCGK-E erfassten Unternehmen müssten daher von den entsprechenden Empfehlungen zur Langfristvergütung per heute eine Abweichung erklären.

Aus unserer Sicht ist eine so weitgehende und enge Vorgabe zur Vorstandsvergütung vom Mandat der Kommission nicht gedeckt. So heißt es in der Präambel des DCGK-E: „Der Kodex enthält Grundsätze, Empfehlungen und Anregungen zur Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Unternehmen, die national und international als Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung anerkannt sind.“ Weder aus nationaler noch internationaler Marktpraxis ist ersichtlich, dass das empfohlene Modell „anerkannter Standard“ wäre.

b) Rechtliche Schwierigkeiten in der Beschaffung von Aktien
Der DCGK-E spricht von der „Gewährung von Aktien“. Herr Prof. Dr. von Schimmelmann erläuterte zur „technischen Umsetzung“ in der Anhörung am 04.12.2018, dass das Unternehmen dem Vorstandsmitglied Aktien zuwendet, dieses den auf die Steuer entfallenden Betrag veräußern und den verbleibenden Aktienteil halten solle. Technisch gesehen handelt es sich beim vorgeschlagenen Einheitsmodell um eine bedingte Zusage (Beschäftigung im Geschäftsjahr und das Erreichen „strategischer Jahresziele“) zur Gewährung von Aktien mit einer anschließenden vierjährigen Haltefrist für den Netto-Gewinn (Netto-Aktien) nach Steuern. Diese Vorgehensweise macht den Erwerb von Aktien oder die Schaffung von Kapital durch die Gesellschaft notwendig. Der Gesetzgeber hat mit dem KonTraG 1998 die Verwendung von Aktien in Vergütungsprogrammen zwar grundsätzlich ermöglicht, dafür aber diverse Beschlussanforderungen definiert . Die Schaffung bedingten Kapitals (§ 193 AktG) erscheint in diesem Zusammenhang schon deshalb nicht möglich, weil wesentliche Anforderungen wie das Verbot einer unter pari-Emission und eine vierjährige Wartefrist mit dem DCGK-E-Modell nicht erreicht werden. Somit verbleiben aus unserer Sicht allenfalls der Erwerb eigener Aktien nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG sowie die Schaffung genehmigten Kapitals (§§ 202 ff. AktG) zum Zwecke der Ausgabe von Aktien an Mitglieder des Vorstands. In beiden Fällen sind wesentliche Voraussetzungen weder in der juristischen Literatur noch in der Rechtsprechung eindeutig geklärt. Jedenfalls aber führt die durch das DCGK-E-Modell induzierte Notwendigkeit zur Beschaffung von Aktien im Ergebnis zu einem weit über das unverbindliche Votum zur Billigung des Vergütungssystems nach heutigem Aktienrecht bzw. der Vergütungspolitik nach dem RefE des ARUG II hinausgehenden Mitspracherecht der Hauptversammlung bei der Vergütung des Vorstands.

→ Die geschilderten Probleme könnten durch die – im DCGK-E bislang nicht vorgesehene – Möglichkeit gelöst werden, die Langfristvergütung in bar auszuzahlen und das Vorstandsmitglied aus dem Nettobetrag zum Kauf von Aktien am Markt zu verpflichten

Aber selbst eine Ausgestaltung als Barvergütung mit anschließender Kaufverpflichtung birgt in globaler Betrachtung Herausforderungen in der Umsetzung in den Unternehmen. Zunehmend werden Vorstandsposten mit Personen mit ausländischem Pass und/oder Dienstsitz im Ausland besetzt. Daraus ergibt sich eine teilweise oder gänzliche steuerliche Veranlagung in anderen Ländern. So wird z. B. in manchen Ländern vom Unternehmen gar kein Lohnsteuerabzug vorgenommen und somit erst nach Abschluss eines Jahres die tatsächliche Netto-Vergütung, auf Basis derer sich die Aktien-Anzahl ermittelt, ermittelbar sein; in anderen Staaten dürfte es nicht oder nur über Umwege möglich sein, ein entsprechendes Aktiendepot anzulegen. Auch dürfte die Beschaffung von Aktien für Unternehmen mit einem nur geringen Freefloat eine erhebliche Herausforderung – mit damit einhergehenden Effekten auf den Aktienkurs – darstellen.

c) Investorenanforderungen
Der DCGK-E weicht mit seinem Einheitsmodell für die langfristig variable Vergütung in wesentlichen Punkten nicht nur von der Marktpraxis, sondern auch von den Abstimmungsrichtlinien namhafter institutioneller Investoren sowie der beiden großen Stimmrechtsberater ISS und Glass Lewis ab. Vor allem letzterer Umstand wird mit Blick auf die nach der 2. ARR sowie dem diese umsetzenden ARUG II vorgesehenen erweiterten Mitspracherechte der Aktionäre bei der Vorstandsvergütung den ohnehin schon bestehenden „Befolgungskonflikt“ zwischen dem Kodex auf der einen und den Anforderungen von Investoren und Stimmrechtsberatern auf der anderen Seite verschärfen.

Es seien zwei Beispiele genannt: Investoren und Stimmrechtsberater erwarten ein auf das Geschäft und die Situation des Unternehmens zugeschnittenes Vergütungssystem, dem steht das Einheitsmodell der Langfristvergütung des DCGK-E entgegen. Des Weiteren fordern zahlreiche Investoren sowie Glass Lewis für die Langfristvergütung einen Branchenvergleich bzw. eine relative Zielsetzung bei der Performancemessung, diesem Erfordernis wird die einjährige Performancemessung strategischer Ziele und die darauffolgende Gewährung in lediglich gesperrten, unverfallbaren Aktien nicht gerecht. Diese und weitere Diskrepanzen drohen die angestrebte Relevanz des Kodex in Frage zu stellen anstatt sie zu erhöhen.

Investoren und Stimmrechtsberater werden sich mit dem Kodex erst in seiner finalen Fassung beschäftigen. Zur Illustration sei auf die Ausführungen von Herrn von Oehsen (ISS) auf einer Veranstaltung am 10.12.2018 verwiesen. Er erläuterte den zeitlichen Prozess der Anpassung der ISS-Stimmrichtlinien. Diese würden – nach Abschluss der Hauptversammlungssaison 2019 – im Sommer 2019 überprüft und dann in einer Kommentierungsphase mit Investoren verprobt. Neue Guidelines würden gegen Ende 2019 mit Wirkung für Hauptversammlungen 2020 veröffentlicht werden. Bekanntlich verlangen Investoren von Emittenten jedoch zeitlich deutlich vorlaufende Konsultationsprozesse für eine Befassung der Hauptversammlung mit dem Thema Say on Pay. Diese Konsultationsprozesse haben für die Hauptversammlung 2020 bereits im Herbst 2019 zu erfolgen (die unternehmensinterne Befassung noch davor). In der Konsequenz bedeutet dieser Zeitplan, dass selbst wenn wesentliche Investoren und Stimmrechtsberater ihre Richtlinien dem DCGK-E entsprechend anpassen sollten (was nach weltweiten Erfahrungen angesichts der zumeist globalen Gültigkeit dieser Richtlinien hoch unwahrscheinlich ist), sich die Unternehmen jedenfalls für die Hauptversammlungssaison 2019 und aufgrund der beschriebenen Vorbereitungszeit auch für die Hauptversammlungssaison 2020 nicht auf belastbare und sich mit den Vorgaben des Kodex auseinandersetzende Investorenmehrheitsmeinungen stützen können. In genau diesem Zeitrahmen müssen aber infolge des ARUG II alle (sic) Unternehmen mit ihren Vorstandsvergütungen die Hauptversammlung befassen – das Chaos ist programmiert.

d) Inhaltliche Kritik
Da die Gewährung der gesperrten Aktien nach DCGK-E lediglich von der Zielerreichung eines Jahres abhängen soll, dient damit ausschließlich die vierjährige Haltefrist der Sicherstellung der aktienrechtlich geforderten Mehrjährigkeit bzw. Nachhaltigkeit. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass sich die Jahresziele für die Gewährung der Aktien aus einer mehrjährigen Strategie ableiten, denn die Jahresziele sollen bei Änderungen der Strategie explizit angepasst werden. Da aber die Unternehmensplanung, welche die Strategie umsetzt, in der Regel rollierend erfolgt, bedeutet das im Ergebnis, dass die Ziele für die Gewährung der langfristig variablen Vergütung auf einer einjährigen Basis und damit kurzfristig definiert werden. Das daraus folgende Abstellen allein auf die Aktienkurs- und Dividendenentwicklung als Maßstab für den langfristigen Erfolg des Unternehmens greift zu kurz und bildet durch seine reine Fokussierung auf den Shareholder Value die Interessen anderer wichtiger Stakeholder des Unternehmens, welche auch in der Präambel des Kodex ausdrücklich genannt werden, nicht ausreichend ab. Dies stellt einen erheblichen Rückschritt gegenüber dem Status Quo im deutschen Markt dar, der durch eine Vielzahl unterschiedlicher Gestaltungen gekennzeichnet ist, durch die deutsche börsennotierte Unternehmen heute die Mehrjährigkeit und Nachhaltigkeit ihrer Vorstandsvergütung sicherstellen.

Es darf auch bezweifelt werden, dass die Aktienkurs- und Dividendenentwicklung für sich genommen – d. h. ohne jeglichen Vergleich mit anderen Unternehmen ähnlicher Größe, Struktur, Geographie etc. – immer den richtigen Maßstab für den Erfolg des Unternehmens darstellt. Nach dem Prinzip „Die Flut hebt alle Boote“ kann der Vorstand hier von allgemeinen Marktbewegungen profitieren, ohne dass eine entsprechende unternehmerische Leistung erbracht wurde. Es ist absehbar, dass die ausschließliche Verwendung von Aktien in der Langfristvergütung zu einer deutlich geringeren Vergütungsvolatilität führen wird. Die langfristig variable Vergütung des Vorstands wird auszahlungsstabiler und weniger mit dem Unternehmenserfolg atmen als bisher. Dies ist mit dem Pay for Performance-Grundsatz nur schwer zu vereinbaren.

Variable Vergütung hat variabel zu sein. Im Modell der Kommission führt eine deutlich verfehlte Zielerreichung eines Geschäftsjahres auch zum vollständigen Entfall der Aktienkomponente. In diesem Fall läge – selbst in der Sichtweise der Kommission – keine mehrjährige Vergütung vor. Die sich ergebende Wirkung und Sinnhaftigkeit einer leistungs- und erfolgsorientierten Vorstandsvergütung kann trefflich diskutiert werden. Jedenfalls wäre in diesen Fallvarianten das Einheitsmodell des DCGK-E nicht im Einklang mit den Anforderungen von § 87 Abs. 1 AktG Satz 2 und 3

Auch gilt es zu bemerken, dass der DCGK-E im Gegensatz zur Auszahlung der langfristig variablen Vergütung in Aktien in Empfehlung D.7 Satz 1 empfiehlt, die kurzfristig variable Vergütung in bar auszubezahlen. Aus unserer Sicht ist hierin kein die Corporate Governance in Deutschland förderndes Prinzip zu erkennen. Vielmehr stellt diese Empfehlung, angesichts der aktuellen Marktpraxis in Deutschland, eine unnötige Einschränkung dar, da ein Teil der Unternehmen die Mehrjährigkeit in der variablen Vergütung neben der Nutzung einer eigenständigen Langfristvergütung auch mit einem Aufschub der kurzfristig variablen Vergütung in Aktien (sog. „Equity Deferrals“) sicherstellt. Ein derartiges Vorgehen wäre nach unserer Lesart des DCGK-E nicht mehr von der Empfehlung gedeckt, obwohl das Prinzip eines Equity Deferrals dem Einheitsmodell des DCGK-E sehr nahekommt.

→ Die Kommission kommt nach intensiver Befassung zu der Ansicht, ein für alle 450 börsennotierten Unternehmen in Deutschland passendes Vergütungsmodell gefunden zu haben. Dies ist zu respektieren. Man sollte dann aber mit Mut diese vermeintliche Best Practice dem Markt als Anregung präsentieren und auf die Überzeugungskraft des Modells setzen, statt über Empfehlungen einen faktischen Zwang auszuüben und Unternehmen in einen absehbaren „Befolgungskonflikt“ mit den Anforderungen institutioneller Investoren und deren Stimmrechtsberater zu treiben.

→ Zudem wird empfohlen, die Einschränkung der Auszahlung der kurzfristig variablen Vergütung in bar ersatzlos zu streichen.


4. Clawback (D. 12)

„[…] In begründeten Fällen soll eine variable Vergütung einbehalten oder zurückgefordert werden können (Clawback).“

Das Konzept, Vergütungen unabhängig von der formalen bzw. rechnerischen Anspruchsentstehung kürzen (Malus) oder rückfordern (Clawback) zu können, ist ein von Investoren massiv gefordertes Instrument und wird von uns begrüßt. Im Rahmen der europäischen und deutschen Bankenregulierung (siehe CRD IV und Institutsvergütungsverordnung) wurden diese Konzepte regulatorisch bereits implementiert. Wie sich in der rechtlichen Praxis zeigt, sind Malus-Regelungen regelmäßig gut durchsetzbar. Es zeigt sich aber auch, dass echte Clawback-Regelungen – nach unserem Kenntnisstand – weder in Deutschland noch in anderen Jurisdiktionen (z. B. in UK) – bisher erfolgreich vor Gericht durchgesetzt worden wären. Aus gutem Grund sieht deshalb die Institutsvergütungsverordnung vor, dass in der Aufschub-Frist des Bonus (bar und in Instrumenten) kein Anspruch entstehen darf. Da das Einheitsmodell des DCGK-E alle (sic) Vergütungselemente nach Jahresfrist
unverfallbar auszahlt (bar und in Aktien), besteht keine Kürzungsmöglichkeit mehr.

Daher kann systemisch nur mehr eine Vergütungsrückforderung greifen, die aber mit größeren rechtlichen Unwägbarkeiten für das Unternehmen und seinen Aufsichtsrat behaftet ist als etwa eine Malus-Regelung. Wenngleich nicht generell die Undurchsetzbarkeit einer Rückzahlungsklausel unterstellt werden kann, gehen wir aus Praktikersicht davon aus, dass ein Clawback mit dem Einheitsmodell des DCGK-E grundsätzlich nur schwer vereinbar ist und diesbezüglich weitgehend ins Leere laufen wird. Dieser Probleme war sich die Kommission in früheren Befassungen bewusst und hat deshalb – nicht zuletzt in Reaktion auf das Ausscheiden des damaligen Vorstandsvorsitzenden von VW, Herrn Prof. Martin Winterkorn – die Empfehlung eingeführt, dass die mehrjährige Bemessungsgrundlage im Wesentlichen zukunftsbezogen sein soll, um genau diese Sachverhalte zu adressieren. Das Einheitsmodell des DCGK-E für die Langfristvergütung treibt die Unternehmen dagegen in ein erheblich höheres Durchsetzungsrisiko.
 

5. Abfindungs-Cap (D.14)

„Zahlungen an ein Vorstandsmitglied bei vorzeitiger Beendigung der Vorstandstätigkeit sollen den Wert von zwei Jahresvergütungen nicht überschreiten (Abfindungs-Cap) und nicht mehr als die Restlaufzeit des Anstellungsvertrags vergüten. Für die Berechnung des Abfindungs-Caps soll auf die Gesamtvergütung des abgelaufenen Geschäftsjahres und gegebenenfalls auch auf die voraussichtliche Gesamtvergütung für das laufende Geschäftsjahr abgestellt werden. Zahlungen für ein etwaiges nachvertragliches Wettbewerbsverbot sollen mit der Abfindung verrechnet werden.“

Die Formulierung stellt eine erhebliche Verschärfung gegenüber der bisherigen Empfehlung zum Abfindungs-Cap dar, wonach lediglich beim Abschluss von Vorstandsverträgen darauf geachtet werden soll, dass Zahlungen an ein Vorstandsmitglied bei vorzeitiger Beendigung der Vorstandstätigkeit den Abfindungs-Cap nicht überschreiten. Nach DCGK-E müssten Unternehmen dagegen immer dann, wenn im konkreten Aufhebungsvertrag eine höhere Abfindung vereinbart wird, eine Abweichungserklärung abgeben. Damit wird von den Unternehmen etwas verlangt, was sie in den meisten Fällen einseitig nicht durchsetzen können, weil kein wichtiger Grund für den Widerruf der Bestellung im Sinne von § 84 Abs. 3 AktG vorliegt und somit sowohl die Bestellung als auch der Dienstvertrag nur einvernehmlich beendet werden können. Das Vorstandsmitglied ist nicht verpflichtet, einem Aufhebungsvertrag, welcher den Abfindungs-Cap einhält, zuzustimmen . Somit würde sich die Kluft zwischen dem Anspruch des Kodex und der Durchsetzbarkeit eines Abfindungs-Caps weiter vergrößern. Dem Unternehmen wird hier oft nur die Wahl bleiben, entweder den Aufhebungsvertrag trotzdem abzuschließen und eine Abweichung vom Kodex zu erklären oder den Vertrag bis zu seinem ursprünglich vereinbarten Ende laufen zu lassen, was u. U. erheblich teurer sein kann. Zusätzlich möchten wir auf die Schwierigkeit der Verrechnung unterschiedlicher Ansprüche verweisen (Abfindung und Wettbewerbsverbot).
 
Nicht ersichtlich ist auf der anderen Seite, warum sich die Einschränkung, dass bei Beendigung des Vorstandsvertrags aus einem vom Vorstandsmitglied zu vertretenden wichtigen Grund grundsätzlich keine Zahlungen erfolgen dürfen, nicht mehr im DCGK-E wiederfindet.

→ Wir empfehlen die Beibehaltung der bisherigen Formulierung zum Abfindungs-Cap (ggf. ohne den Passus zur näheren Berechnung des Abfindungs-Caps).
 

6. Change of Control-Leistungen (D.15)

„Zusagen für Leistungen aus Anlass der vorzeitigen Beendigung der Vorstandstätigkeit infolge eines Kontrollwechsels (Change of Control) sollten nicht vereinbart werden.“

Es kann durchaus gute Gründe für die Vereinbarung einer solchen Abfindungsklausel geben. Durch die finanzielle Absicherung für den Fall eines Kontrollwechsels kann nämlich verhindert werden, dass ein Vorstandsmitglied eine drohende Übernahme aus Angst um den Verlust seiner Vorstandsposition zu verhindern sucht, anstatt sich alleine am Unternehmensinteresse zu orientieren. Damit stellt die CoC-Klausel i. d. R. kein „Geschenk“ an den Vorstand dar, sondern dient dem Interesse der Gesellschaft.

→ Wir regen an, nochmals zu überdenken, ob Anregung D.15 überhaupt notwendig ist.
 

7. Top Down-Ansatz

Der im Entwurf vorgeschlagene Top Down-Ansatz, wonach auf Basis eines verständlichen Vergütungssystems die jeweilige Gesamtvergütung, und zwar als Ziel- und Maximalvergütung, sowie die fixen, kurzfristig und langfristig variablen Anteile festgelegt werden, erscheint im Grundsatz gut und richtig.

Dies gilt auch für die in Grundsatz 25 DCGK-E genannten Inhalte des Vergütungssystems.
 

8. Einbeziehung von Altersversorgung und Nebenleistungen in die Festvergütung (D.3)

„Sofern Altersversorgungsleistungen gewährt werden, sollen der Dienstzeitaufwand oder Beiträge zur Altersversorgung der Kategorie der Festvergütung zugerechnet werden. Gleiches gilt für Nebenleistungen, die nicht betrieblich veranlasst sind.“

Die Einbeziehung von nicht betrieblich veranlassten Nebenleistungen sowie Leistungen der Altersversorgung in die Festvergütung wirft zahlreiche Fragen und Probleme auf. Diese betreffen neben Unklarheiten in der Definition insbesondere deren schwankende Wertfeststellung.

So sind gemäß aktuellen HGB-Vorgaben „Nebenleistungen jeder Art“ in die Gesamtbezüge einzurechnen. Der Deutscher Rechnungslegungs Standard Nr. 17 (DRS 17) führt in Detaillierung der HGB-Vorgaben aus, dass diese zu bewerten sind. Eine Bewertungsmethode schreibt der DRS 17 nicht vor, sondern nennt z. B. „Bewertung zum beizulegenden Zeitwert, zu Kosten oder zu dem für steuerliche Zwecke ermittelten Wert“. In der Unternehmenspraxis ist hier insbesondere der steuerliche „geldwerte Vorteil“ von Relevanz.

Mit dem Begriff „betrieblich veranlasste“ Nebenleistungen führt die Kommission eine bislang unbekannte Begrifflichkeit ein, deren Definition sich weder aus dem DCGK-E noch aus anderen relevanten Regelwerken ergibt. Somit ist die Abgrenzung zwischen betrieblich veranlassten und anderen Nebenleistungen nicht klar und kann in der Zuordnung zur Festvergütung zu Unsicherheit führen. Die tautologische Erläuterung, dass eine Nebenleistung betrieblich veranlasst ist, wenn sie auf Veranlassung der Gesellschaft erfolgt (Begründung zur Empfehlung D.3 DCGK-E), hilft hier nicht. Zudem ist das dort genannte Beispiel einer der Sicherheit dienenden Ausrüstung des Privathauses eines Vorstandsmitglieds ebenfalls wenig geeignet, hier Klarheit zu schaffen, denn eine betrieblich veranlasste Nebenleistung dürfte in diesem Fall nur bei einer entsprechenden polizeilich festgestellten Gefährdungslage vorliegen. Andernfalls dürfte i. d. R. (auch steuerlich) von einem geldwerten Vorteil auszugehen sein.

→ Besser wäre es insgesamt, hier auf die steuerliche Behandlung derartiger Leistungen abzustellen und einen Vergütungsbestandteil nur im Falle eines geldwerten Vorteils anzunehmen.

Auch wenn die betriebliche Altersversorgung (bAV) heutzutage typischerweise als „Defined Contribution“ (Beitragszusage) ausgestaltet ist und daher i. d. R. weniger starke jährliche bilanzielle Schwankungen resultieren, sind derzeit noch eine Vielzahl von endgehaltsabhängigen Rentenzusagen und Festrentenzusagen (Leistungszusagen) im Markt vorzufinden – mehrheitlich aus Altverträgen. Diese sind zwingend mit einem (schwankenden) Dienstzeitaufwand abzubilden, da derartige Zusagen ihrer Natur nach keinen Beitrag kennen. Der deutsche Gesetzgeber erlaubt zudem im Rahmen des bAV-Durchführungswegs der Direktzusage keine „Defined Contribution“ amerikanischer Prägung. Es ist jedenfalls Kapital zu garantieren; regelmäßig sind zudem Risikoleistungen (bei Invalidität und Tod) und oft Zinsgarantien enthalten. Damit unterliegen Beitragszusagen sehr wohl – und u. U. signifikanten – jährlichen bilanziellen Schwankungen. Eine alleinige Verwendung des Beitrags würde dem tatsächlichen Aufwand der Gesellschaft nicht gerecht und zudem zu einer Ungleichbehandlung von Empfängern von Beitragszusagen und Leistungszusagen führen.

Auch wenn bAV und Nebenleistungen keine variablen Vergütungskomponenten im Sinne einer erfolgsorientierten Vergütung darstellen, weisen sie wie beschrieben in ihrer Nutzung und Wertbestimmung eine deutliche jährliche Variabilität auf. Ihr vom DCGK-E vorgenommener Einschluss in die Festvergütung und die zu definierende Gesamt-Maximalvergütung führt somit potenziell dazu, dass im Extremfall Kürzungen in der kurz- und langfristig variablen Vergütung vorgenommen werden müssen. Ob diese Kürzungen auch tatsächlich erfolgen müssen, ist dabei sowohl für das Unternehmen als auch das Vorstandsmitglied erst nach Abschluss des Geschäftsjahres und erfolgten bilanziellen Bewertungen ersichtlich.

→ Wir empfehlen vorzugeben, dass der Aufsichtsrat einen angemessenen Nebenleistungskatalog inkl. individueller jährlicher Maximalbeträge definieren soll und die Werthaltigkeit der bAV-Zusagen aufgrund ihres extrem langen Verpflichtungscharakters mit besonderer Vorsicht – vor Zusage bzw. bei Fortführung der Zusage – prüft sowie für die Angemessenheit der Gesamtvergütung inkl. bAV und Nebenleistungen Sorge trägt.
 

9. Vergütungstransparenz

Der DCGK-E verzichtet auf die seit 2013 empfohlenen Mustertabellen zur Darstellung der Vergütung des Vorstands im Vergütungsbericht. Das ist ein erheblicher Rückschritt für die Transparenz der Vorstandsvergütung, der entgegen der Ansicht der Kommission auch nicht mit dem Verweis auf den durch den RefE des ARUG II vorgesehenen § 162 AktG-E begründet werden kann. Denn dieser sieht gerade keine den heutigen Ausweistabellen entsprechende, detaillierte Offenlegung der Vergütung des einzelnen Vorstandsmitglieds – aufgeteilt nach den gewährten Zuwendungen inkl. Minimal- und Maximalvergütung für das betreffende Geschäftsjahr und der für das Geschäftsjahr zugeflossenen Vergütung – vor.

Vielmehr manifestiert § 162 AktG-E zusammen mit den weiterhin gültigen HGB-Vorgaben die aktuelle bestehende Ungleichbehandlung ökonomisch gleicher Sachverhalte im Ausweis der Langfristvergütung. Diese Ungleichbehandlung betrifft den Ausweis aktienbasierter Bezüge, die gemäß HGB lediglich bei Gewährung (sprich: bei ihrer bedingten Zuteilung) mit ihrem beizulegenden Zeitwert in die Gesamtbezüge einzubeziehen sind, während nicht aktienbasierte Bezüge erst dann einzubeziehen sind, wenn die zugrundeliegende Tätigkeit erbracht wurde und etwaige aufschiebende Bedingungen erfüllt bzw. auflösende Bedingungen weggefallen sind. Dies führt dazu, dass – anders als in den bestehenden DCGK-Mustertabellen – Unternehmen mit aktienbasierten Langfristvergütungen diese bereits zum Start der Performanceperiode (und somit zum Gewährungswert und vollkommen unabhängig vom späteren Auszahlungs-/Zuflussbetrag) und Unternehmen mit nicht aktienbasierten Langfristvergütungen diese erst bei Ablauf der Performanceperiode (und somit zum Auszahlungs-/Zuflussbetrag) ausweisen müssen. Dem hier vorweggenommenen möglichen Einwand der Kommission, dass beim empfohlenen Einheitsmodell des DCGK-E Gewährung und Zufluss der gesperrten Aktien zusammenfallen, kann entgegnet werden, dass in der derzeitigen Marktpraxis der Langfristvergütung weder zeitlich noch wertmäßig Gewährung identisch mit Zufluss ist und ein Übergang in das Einheitsmodell wohl kaum unmittelbar und vollständig erfolgen dürfte (s. dazu oben).

Anders als der DCGK (mit seinen Mustertabellen) und der DCGK-E definiert des Weiteren das HGB die bAV nicht als Teil der Gesamtbezüge, was aus Vergütungssicht ein weiteres Manko des gesetzlichen Vergütungsausweises darstellt (und bisher durch die Mustertabellen aufgegriffen wurde).

Auf eine weiterführende Diskussion der Schwächen des bestehenden HGB-Ausweises sowie des § 162 AktG-E wird an dieser Stelle verzichtet und auf die sehr präzise öffentliche Stellungnahme des DRSC zum RefE des ARUG II verwiesen.

Ob und wann die beschriebenen Transparenzlücken durch einheitliche Leitlinien der Europäischen Kommission nach Art. 9b Abs. 6 der 2. ARR zur Präzisierung der standardisierten Darstellung der Informationen zur Vorstandsvergütung geschlossen werden wird, bleibt abzuwarten. So wurde zwar eine international besetzte Arbeitsgruppe auf EU-Ebene einberufen, ein Zeitplan zu konkreten Ergebnissen ist jedoch nicht ersichtlich.

Wir möchten zudem darauf verweisen, dass eine solche Regelungsrücknahme i. S. Ausweispflichten fast automatisch zu eigenen Vorstellungen der institutionellen Investoren und deren Stimmrechtsberatern führen wird. So hat Glass Lewis in seine Abstimmungsrichtlinien für 2019 den Ausweis von Zuflusswerten („realised pay“) aufgenommen. Auch einer Erwartung, den Wert und die spätere Realisierung von Aktienpaketen nicht zeigen zu müssen, muss mit Verweis auf internationale Transparenzbestimmungen (u. a. die SEC Proxy Disclosure Rules in den USA) entgegen getreten werden.

→ Wir empfehlen daher, die Nutzung der im Kodex enthaltenen Mustertabellen bis auf Weiteres weiterhin als Empfehlung vorzusehen.
 

10. Unabhängigkeit (B.8)

„Der Aufsichtsrat soll, wenn er die Unabhängigkeit seiner Mitglieder einschätzt, insbesondere berücksichtigen, ob das Aufsichtsratsmitglied selbst oder eine mit ihm in einer nahen familiären Beziehung stehende Person […] neben seiner Vergütung als Mitglied des Aufsichtsrats eine wesentliche andere variable Vergütung von der Gesellschaft oder einem von dieser abhängigen Unternehmen erhält […].“

Dieses neu in den DCGK-E eingefügte Kriterium zur Beurteilung der Unabhängigkeit kann dazu führen, dass ein ehemaliges Vorstandsmitglied, welches noch Aktien hält, die ihm nach dem Vergütungsmodell des DCGK-E gewährt wurden und deren Haltefrist noch nicht abgelaufen ist, als nicht unabhängig zu beurteilen ist. Damit kann hieraus bis zu vier Jahre nach dem Ausscheiden aus dem Vorstand eine fehlende Unabhängigkeit resultieren mit der Folge, dass ein solches Aufsichtsratsmitglied z. B. nicht ohne Abweichungserklärung dem Vergütungsausschuss vorsitzen kann (Empfehlung B.10 Satz 1). Per heute sitzt in der überwiegenden Mehrheit der Unternehmen der/die Aufsichtsratsvorsitzende auch dem Ausschuss, der über Vergütungsfragen berät, vor. Dies würde zu einer faktischen Verlängerung der Cooling off-Phase von zwei auf vier Jahre führen.

Hiergegen lässt sich unseres Erachtens nicht etwa einwenden, dass das betroffene ehemalige Vorstandsmitglied keine Vergütung mehr von der Gesellschaft erhält, weil sich die Aktien bereits in seinem Eigentum befinden. Denn diese Interpretation würde dem vom DCGK-E unterstellten mehrjährigen Charakter der Aktiengewährung widersprechen, welcher überhaupt erst die Übereinstimmung dieses Vergütungselements mit dem Erfordernis der mehrjährigen Bemessungsgrundlage für Vorstandsvergütung im Sinne von § 87 Abs. 1 Satz 3 AktG herstellt.

→ Wir empfehlen diesen Punkt aus dem Kriterienkatalog zur Unabhängigkeit zu entfernen oder sehr deutlich klar zu stellen, was als „wesentliche andere variable Vergütung“ qualifiziert und was nicht.
 

11. Wünschenswerte Aussagen zu weiteren Themen

Der Entwurf lässt andere wichtige Themen im Bereich der Vorstandsvergütung außer Acht. So findet sich zur Altersversorgung lediglich in D.3 DCGK-E die o. g. Empfehlung, den Dienstzeitaufwand einer Altersversorgung oder Beiträge zur ihr der Kategorie der Festvergütung zuzurechnen. Es findet sich weder die bisherige Empfehlung zur Berücksichtigung des angestrebten Versorgungsniveaus durch den Aufsichtsrat noch eine Empfehlung zur Verwendung eines beitragsorientierten Altersversorgungssystems, was jedenfalls im deutschen Markt als Best Practice gelten dürfte. Ebenfalls fehlt eine Aussage, ob es für Vorstände überhaupt eine bAV-Zusage vom Unternehmen geben soll.

Auch zu den mittlerweile weit verbreiteten und von vielen Investoren sowie von den Stimmrechtsberatern geforderten sog. Share Ownership Guidelines, die Vorstände zum Erwerb von Aktien aus ihrem eigenen Vermögen sowie zu deren Halten verpflichten, enthält der DCGK-E keine Aussage. Wie Investorenvertreter in der Anhörung am 04.12.2018 gegenüber der Kommission deutlich gemacht haben, beurteilen sie Aktien, die als Vergütung gewährt werden, getrennt von Aktienhaltevorschriften.

Es wären zudem Aussagen zur Verwendung von sog. ESG-Zielen im DCGK hilfreich. Wesentliche Investoren und Stimmrechtsberater fordern verstärkt die Aufnahme von Nachhaltigkeitszielen im Bereich “Environment, Social and Governance“.

Aus unseren Ausführungen wurde deutlich, dass der DCGK-E, um eine breite Anwendbarkeit bei Unternehmen zu finden, einer deutlichen inhaltlichen wie sprachlichen Überarbeitung bedarf. Der aktuelle Entwurf ist nur unzureichend geeignet, Unternehmen Orientierung für unternehmensindividuelle Vertragsgestaltungen und die nötige Zustimmung der Aktionäre zu bieten und stellt weder anerkannte internationale noch deutsche Best Practice oder Marktpraxis dar. Dieser Befund verschlimmert sich, wenn man die Entscheidungsverlagerungen zur Vorstandsvergütung aus dem ARUG II berücksichtigt.

Selbstverständlich stehen wir für persönliche Rücksprachen jederzeit gerne zur Verfügung und hoffen, dass unsere Ausführungen für Ihre weitere Arbeit hilfreich sind.
 

Mit besten Grüßen
Dr. Jan Dörrwächter
Senior Partner

Joachim Kayser
Senior Partner

Michael H. Kramarsch
Managing Partner
 

Regine Siepmann
Partner

* Photo by AC Almelor on Unsplash
Autor Michael H. Kramarsch

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