hkp/// group und Ipreo haben in einer aufwändigen Studie die Besitzverhältnisse der Unternehmen im DAX analysiert und herausgefiltert, welche Investoren und Stimmrechtsberater in puncto Entscheidungen zur Vorstandsvergütung wie agieren und welche grundlegenden Muster sich dabei abzeichnen. Michael H. Kramarsch, Managing Partner hkp/// group, und Andreas Posavac, Managing Director Ipreo, geben einen Einblick in zentrale Studienergebnisse.
 
Herr Kramarsch, was sind die für Sie überraschendsten Ergebnisse Ihrer Analyse?
Michael H. Kramarsch: Unsere Analyse zeigt, dass das Investorenverhalten in puncto Vorstandsvergütung deutlich weniger berechenbar geworden ist. Unternehmen können heute nicht mehr sicher sein, dass ein Vergütungssystem für ihre Vorstände im Say on Pay auf der Hauptversammlung durchgewunken werden. Dabei ist es egal, ob es sich um das identische Vergütungssystem des Vorjahres handelt oder ein Ankeraktionär vorhanden ist etc. Das einzig Sichere ist mittlerweile die Unsicherheit!
 
Was hat Sie, Herr Posavac, mit Blick auf die Investorenlandschaft in den führenden börsennotierten Unternehmen Deutschlands überrascht?
Andreas Posavac: Wir beobachten permanent Investorenaktivitäten und sehen hier weltweit seit geraumer Zeit eine deutliche Verschiebung zu passiv verwalteten Vermögen, zu verstärktem Engagement sowie zu einer generell höheren Sensivität in Fragen von Corporate Governance und Corporate Social Responsibility, also den sogenannten ESG-Kriterien.
 
… und mit Blick auf die DAX-Unternehmen hat sich dieser globale Trend bestätigt?
Andreas Posavac: Die DAX-Unternehmen sind in sehr konzentriertem Besitz der Top30-Investoren weltweit, allen voran Norges Bank, Black Rock als Gruppe und Vanguard, die überwiegend passive Investments eingehen. Grundsätzlich ist bei Investoren in Deutschland auch eine höhere ESG-Sensivität zu spüren.
 
Passives Investment heißt aber nicht Passivität in der Kommunikation mit den Emittenten?
Andreas Posavac: Nein, eher im Gegenteil. Die großen Investoren sind aktiver denn je. Dies ist letztlich das Resultat des Charakters ihres passiven Investments. Sie sind Investment-technisch an einen Index gebunden, können sich nicht einfach aus einem Unternehmen zurückziehen. Wenn sie Dinge durchsetzen wollen, dann müssen sie aktiv auf die Unternehmen zugehen und versuchen, meist über eine Abstimmung Veränderungen herbeizuführen – und das tun sie, wie nicht zuletzt unsere Studie zeigt.
Michael H. Kramarsch: Auf Unternehmensseite erfordert der Trend zu passiven Investments eine andere Investor-Relation-Arbeit. Die wichtige Zielgruppe von IR ist nicht mehr ausschliesslich das Investment-, sondern das Corporate Governance oder ESG-Team - oder wer immer in den jeweiligen Investmenthäusern für die Themen den Hut aufhat.
 
Das haben in der zurückliegenden Hauptversammlungssaison besonders jene Unternehmen gespürt, die ihre Vorstandsvergütungssysteme im Rahmen eines Say-on-Pay auf der Hauptversammlung zur Abstimmung gestellt haben.
Michael H. Kramarsch: Insgesamt acht DAX Unternehmen haben in der Hauptversammlungssaison 2017 ihr Vorstandsvergütungssystem vorgestellt, von diesen haben mit Merck, Münchener Rück und SAT1Pro7 drei eine Ablehnung erhalten. Ohne Ankeraktionäre und nur den Free Float betrachtet, wären mehr als die Hälfte der Vergütungsabstimmungen negativ ausgefallen.
 
Sind die Vergütungssysteme denn schlechter geworden?
Michael H. Kramarsch: Nein, das sehen wir nicht, im Gegenteil. Oftmals geht es in diesen Auseinandersetzungen auch um andere Themen: So haben Investoren die Abstimmung zur Vergütung des Vorstands als Einfallstor erkannt, um Entscheidungen in völlig anderen, sachfremden Bereichen wie der Besetzung des Aufsichtsrats massiv beeinflussen zu können. Dieser Hebel sollte nicht unterschätzt werden.
Andreas Posavac: Aber es gilt auch, dass im Unterschied zu Ländern wie Großbritannien oder den Niederlanden in Deutschland schlichtweg besonders kritisch auf Themen wie Vergütung, Unabhängigkeit etc. geschaut wird. Das spiegelt sich in den Aktivitäten der Investoren und Stimmrechtsberater wider.
 
Welche Rolle spielen Stimmrechtsberater in dieser Entwicklung?
Michael H. Kramarsch: Grundsätzlich sind sie ein wichtiger Player im Markt, der in den letzten Jahren aber zunehmend kritischer agiert. Wir brauchen kompetente leistungsstarke Stimmrechtsberater, aber in deutlich veränderter Form zu heute.
 
… wie u.a. das Beispiel Munich Re zeigt.
Michael H. Kramarsch: Deren Vorstandsvergütungssystem wurde freiwillig und als einziges Unternehmen seit 2011 jedes Jahr der Hauptversammlung unverändert präsentiert. 2016 bekam das Unternehmen von den führenden Stimmrechtsberatern ISS und Glass Lewis ein positives Feedback. Ein Jahr später bekommt aber das identische System die Gegenstimmen beider Dienstleister – mit dem Argument geänderter Richtlinien und bereits erfolgter Hinweise.
 
In welchem Ausmaß folgen denn Investoren den Empfehlungen der Stimmrechtsberater?
Andreas Posavac: Unsere Studie zeigt, dass 44% der Top30 Investoren in ihrem Stimmverhalten den Empfehlungen der Stimmrechtsberater faktisch folgt oder zumindest übereinstimmt. Hier geben ISS und Glass Lewis den Mainstream der Abstimmungen vor. Das verschärft sich bei kleineren Investoren.
 
Das klingt nach sehr viel!
Andreas Posavac: Ja und Nein. Mittlerweile haben die größeren Investoren eigene Governance-Teams aufgebaut, die sich im Detail und kritisch mit den relevanten Fragen auseinandersetzen und insbesondere auch die lokalen Rahmenbedingungen berücksichtigen. Diese Investoren schauen sich die Empfehlungen der Stimmrechtsberater an, fällen aber dann eigene Entscheidungen, die sich nicht mit jenen der Stimmrechtsberater decken müssen.
 
Hat ihre Studie gezeigt, wer von den größeren Investoren wie abstimmt?
Michael H. Kramarsch: Das lässt sich leider nicht systematisch erschließen, auch für die Unternehmen selbst nicht. In puncto tatsächliches Abstimmungsverhalten gibt es erhebliche Transparenzlücken. Es fehlt ein sogenannter Stewardship Code zum Verhalten von Investoren und Stimmrechtsberatern, der unter anderem klare Transparenzregeln zum Abstimmverhalten enthält.
 
Haben kleinere Investoren schlicht nicht die Kapazitäten, sich eingehend mit den relevanten ESG Themen zu befassen?
Michael H. Kramarsch: Das ist ein wesentlicher Grund. Aber unsere Studie zeigt auch, dass Stimmrechtsberater aufgrund ihres globalen Ansatzes in der Regel lokale Besonderheiten nicht reflektieren. Fairerweise muss man sagen, dass diesbezüglich Bewegung in den Markt gekommen ist. Aber mit den aktuellen Ressourcen der führenden Stimmrechtsberater in Deutschland kann nach wie vor der DAX bei detaillierten qualitativen Entscheidungen wie Vergütungssystemen im Research- und im Engagement-Prozess nicht ausreichend abgedeckt werden, von Unternehmen in der zweiten Reihe ganz zu schweigen.
 
Was sollten Unternehmen tun, um mit ihren Vergütungssystemen Investoren wie auch Stimmrechtsberater zu überzeugen?
Andreas Posavac: Nicht nur rechtzeitig mit den entsprechenden Vertretern auf Investorenseite und mit Stimmrechtsberatern in Kontakt treten, sondern am besten den permanenten Austausch suchen. Wer einen Monat vor der Hauptversammlung anklopft, wird kaum noch jemanden erreichen und schon gar nicht einmal gefestigte Meinungen zum eigenen Vorteil kippen können.
Michael H. Kramarsch: Auch braucht es eine deutlich verbesserte Darstellung von Vergütung im Geschäftsbericht insbesondere zum Zusammenhang Vergütung und Unternehmensleistung. Diese Notwendigkeit impliziert schon, dass man sich von der bislang in Deutschland dominierenden Wirtschaftsprüfer-Perspektive in der Vergütungskommunikation lösen muss. Gesetzlich geforderte Angaben sind lediglich die Pflicht. Aber es wird niemand daran gehindert, sinnvolle Informationen in einer logischen Gliederung und passenden Form aufzuarbeiten, und zwar so, dass diese auch von Normalsterblichen verstanden werden kann. Mit einem Schmunzeln: Ganz Verwegene probieren es sogar mit Graphiken…
 
Herr Posavac, Herr Kramarsch, herzlichen Dank für diese Einblicke.
* Photo by Floriane Vita on Unsplash
Autor Michael H. Kramarsch

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