Was Unternehmen mit Blick auf die Umsetzung des neuen Gesetzentwurfes des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für mehr Gehalts- oder Einkommensgerechtigkeit zwischen Frauen und Männern tun können. hkp.com im Gespräch mit den hkp/// group Experten Isabel Jahn und David Voggeser.
 
Frau Jahn, Herr Voggeser, es gab in den vergangenen Monaten einige Veränderungen an dem ursprünglichen Entwurf für ein Gesetz für mehr Lohngleichheit zwischen Frauen und Männern. Wie ist der aktuelle Stand?
Isabel Jahn: Aus dem ursprünglichen Entwurf eines Gesetzes für mehr Lohngerechtigkeit zwischen Frauen und Männern des Bundesfamilienministeriums ist mittlerweile der Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen, kurz Entgelttransparenzgesetz, geworden. Dieser ist am 11. Januar 2017 durch das Bundeskabinett beschlossen worden und soll im Juli 2017 in Kraft treten.
 
Welche konkreten Inhalte sind ab Juli 2017 von den Unternehmen umzusetzen?
Isabel Jahn: Das Gesetz verpflichtet künftig Unternehmen bereits ab 200 Beschäftigten, einen individuellen Auskunftsanspruch über Entgeltbestandteile zu gewährleisten. Private Arbeitgeber ab 500 Beschäftigten sind darüber hinaus angehalten, regelmäßige Prüfungen der Entgeltgleichheit durchzuführen. Unternehmen dieser Größenordnung, die der Pflicht zur Erstellung eines Lageberichts gemäß HGB unterliegen, müssen weiter dem Lagebericht künftig alle drei bzw. fünf Jahre zusätzlich einen Anhang mit einem Bericht zur Entgeltgleichheit hinzufügen.
David Voggeser: Insgesamt hat der Gesetzesentwurf damit drei Kernbereiche: Es besteht ein individueller Auskunftsanspruch für Beschäftigte. Es gilt eine Aufforderung an die Unternehmen, betriebliche Prüfverfahren zu konzipieren und durchzuführen. Und es kommt zu einer Berichtspflicht im Hinblick auf Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern und deren Wirkungen zur Herstellung von Entgeltgleichheit.
 
Sind von dem Gesetz eigentlich nur privatwirtschaftliche Unternehmen betroffen?
Isabel Jahn: An einigen Stellen des Gesetzesentwurfes wird zwar sehr explizit auf die privaten Arbeitgeber abgestellt, das Gesetz soll jedoch auch auf Beschäftigte des öffentlichen Dienstes Anwendung finden. Die Praxis wird zeigen, welche Beschäftigen tatsächlich Ansprüche geltend machen, denn Fehlentwicklungen, ob nun gewollt oder nicht, kann es ja in jeder Organisation geben.
 
Werfen wir einen detaillierten Blick auf die wichtigsten Anforderungen. Lassen Sie uns mit dem individuellen Auskunftsanspruch beginnen.
David Voggeser: Beschäftigte von Unternehmen mit mehr als 200 Mitarbeitern können zukünftig beim Betriebsrat bzw. beim Arbeitgeber Informationen zur Vergütung des jeweils anderen Geschlechts einfordern. Dabei können tarifgebundene und tarifanwendende Unternehmen entscheiden, ob das Auskunftsrecht kollektiv wahrgenommen werden soll oder ob der Arbeitgeber die Auskunftspflicht individuell erfüllt.
Isabell Jahn: Zum Schutz personenbezogener Daten muss das Auskunftsverlangen jedoch nur beantwortet werden, sofern es eine Vergleichsgruppe des jeweils anderen Geschlechts gibt, die mindestens 6 Personen umfasst. Daher bleibt abzuwarten, ob der Auskunftsanspruch von Männern und Frauen in gleichem Maße geltend gemacht werden kann.
David Voggeser: Das Auskunftsrecht der Beschäftigten bezieht sich jedenfalls sowohl auf die Kriterien und Verfahren der eigenen Entgeltfindung als auch auf die Angabe von Vergleichsentgelten. Hierfür muss der Mitarbeiter bzw. die Mitarbeiterin schriftlich Auskunft verlangen und gleiche bzw. gleichwertige Tätigkeiten benennen.
 
Was heißt in diesem Kontext ‚gleichwertig‘?
David Voggeser: Gleichwertigkeit wird zum Beispiel durch die Art der Tätigkeit, Ausbildungsanforderungen und Arbeitsbedingungen definiert.
Isabel Jahn: Beim Vergleichsentgelt können Angaben zum monatlichen Bruttoentgelt und bis zu zwei einzelne Entgeltbestandteile verlangt werden. Für das Vergleichsgelt ist der auf Vollzeitäquivalente hochgerechnete statistische Median des monatlichen Entgelts von mindestens sechs Beschäftigten des jeweils anderen Geschlechtes anzugeben. Dabei ist stets der Schutz personenbezogener Daten zu wahren.
 
Welcher Zeitraum ist Arbeitgebern als Reaktion auf entsprechende Anfragen gegeben?
Isabel Jahn: Bei nicht tarifgebundenen und nicht tarifanwendenden Arbeitgebern sind sowohl Arbeitgeber als auch Betriebsrat verpflichtet, innerhalb von drei Monaten nach Zugang des Auskunftsverlangens schriftlich Auskunft zu erteilen.
 
Und wenn der Arbeitgeber dem Ersuchen nicht oder nicht fristgemäß nachkommt? 
Isabel Jahn: Sofern der Arbeitgeber die Auskunftspflicht nicht erfüllt, trägt er im Streitfall bei einer Entgeltgleichheitsklage die Beweislast, dass kein Verstoß gegen das Entgelttransparenzgesetz vorliegt. Dies gilt auch, wenn der Betriebsrat durch den Arbeitgeber verschuldet keine Auskunft geben konnte.
 
Wenn eine Benachteiligung vorliegt, was geschieht dann?
David Voggeser: Dann muss der Arbeitgeber den Missstand ohne schuldhaftes Verzögern abstellen. Über genaue Fristen sagt der aktuelle Gesetzentwurf allerdings nichts aus. Auch ist unklar, wie rückwirkend mit einem Fehler seitens des Unternehmens umzugehen ist.
 
Ob zum Beispiel ein Arbeitnehmer bzw. eine Arbeitnehmerin dann einen Anspruch auf eine Kompensation des entgangenen Gehalts bzw. Lohns hat? 
David Voggeser: Genau diese Frage wird im Fall der Fälle gestellt werden, aber nach unserem Kenntnisstand scheint es dazu noch keine konkreten Antworten zu geben.
 
Die zweite Säule des neuen Gesetzes ist ein neues betriebliches Prüfverfahren?
David Voggeser: Nach aktuellem Gesetzentwurf sind Arbeitgeber mit mehr als 500 Beschäftigten aufgefordert, die gültigen Entgeltregelungen und die verschiedenen gezahlten Entgeltbestandteile sowie deren Anwendung auf die Einhaltung des Gesetzes zu überprüfen. Hierbei muss die betriebliche Interessensvertretung beteiligt werden.
Isabel Jahn: Die dabei zur Anwendungen kommenden Analysemethoden und Arbeitsbewertungsverfahren sind grundsätzlich frei auswählbar, sofern valide statistische Methoden verwendet werden. Jedoch muss das Prüfverfahren standardisiert immer eine Bestandsaufnahme, eine Analyse sowie einen abschließenden Ergebnisbericht enthalten. Die Ergebnisse können in zusammengefasster Form betriebsintern veröffentlicht werden.
 
Das betriebliche Prüfverfahren ist allerdings nicht verpflichtend. Haben wir es hier nicht mit einem zahnlosen Tiger zu tun?
David Voggeser: Das glaube ich nicht. Das Verfahren stellt die Voraussetzung für die erfolgreiche Erfüllung der Berichtspflicht dar. Es ist daher durchaus sinnvoll, es regelmäßig durchzuführen, damit bei entsprechenden Anfragen aktuelle Ergebnisse vorliegen.
Isabel Jahn: Bei identifizierten Benachteiligungen ist der Arbeitgeber dafür verantwortlich, geeignete Maßnahmen zu deren Beseitigung zu ergreifen.
 
Bleibt noch der Bericht zur Gleichstellung und Entgeltgleichheit als zweite Säule des neuen Gesetzes…
Isabel Jahn: Laut aktuellem Gesetzentwurf müssen Unternehmen, die der Pflicht zur Erstellung eines Lageberichts gemäß HGB unterliegen, einen entsprechenden Bericht erstellen. Dieser Bericht muss die Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern und zur Herstellung von Entgeltgleichheit sowie deren Wirkung darstellen. Sofern keine Maßnahmen durchgeführt werden, muss dies im Bericht begründet werden.
David Voggeser: Tarifanwendende Unternehmen müssen diesen Bericht alle fünf, alle anderen Arbeitgeber alle drei Jahre erstellen und dem Lagebericht anfügen. Zusätzlich müssen die durchschnittlichen Werte für die Gesamtzahl der Beschäftigen und der Voll- und Teilzeitbeschäftigten nach Geschlecht aufgeschlüsselt angegeben werden.
 
Wie können sich Unternehmen auf das Inkrafttreten des Gesetzes vorbereiten?
Isabel Jahn: Sofern der vorliegende Entwurf im Juli 2017 in Kraft tritt, werden einige Aufgaben auf das Unternehmen zukommen. Zunächst sollte Klarheit darüber bestehen, in welche Kategorien der Auflagen und Pflichten ein Unternehmen fällt: Ist man zur Erfüllung einzelner oder aller Anforderungen angehalten? Welche Anforderungen sind relevant?
David Voggeser: Besteht darüber Klarheit, sollte geprüft werden, ob die Systeme und Daten vorhanden sind, mit denen eine Identifizierung von gleichwertigen Tätigkeiten möglich ist. Das klingt eigentlich selbstverständlich, ist aber in größeren und komplexeren Organisationen längst nicht selbstverständlich. Genauso wie der Aspekt, die relevanten Daten – Gehälter, Geschlecht, Betriebszugehörigkeit, Funktionswertigkeiten, Informationen zur Tätigkeit, Arbeitszeitmodelle usw. – auswerten zu können. Dies wird einige Unternehmen vor große Herausforderungen stellen.
 
An welche Unternehmen denken Sie da konkret?
David Voggeser: Unternehmen, die über keine bzw. keine durchgehenden Systeme zur Funktionsbewertung verfügen, werden sich in diesen Themen sehr schwer tun, fristgemäß und mit vertretbarem Aufwand reagieren zu können.
Isabel Jahn: Als ehemalige HR-Leiterin einer Bank weiß ich, wie wichtig ein konsistentes internes Steuerungssystem für die Erfüllung der Anforderungen sein wird. Sofern bisher in den Unternehmen noch nicht auf Funktionsbewertungen gesetzt wurde, wird sich das nun mit hoher Wahrscheinlichkeit ändern. Es gibt eigentlich kein besseres Instrument, um auf die Notwendigkeiten des neuen Gesetzes reagieren zu können.
 
Was genau können Funktionsbewertungssysteme mit Blick auf das Entgelttransparenzgesetz leisten?
David Voggeser: In diesen Systemen werden Funktionen innerhalb eines Unternehmens basierend auf bestimmten Kriterien Wertigkeiten zugeordnet. Im Rahmen des individuellen Auskunftsanspruch kann diese Einstufung helfen, gleichwertige Funktionen für einen Vergleich zu bestimmen – oder eben auch zu widerlegen, dass angeforderte Funktionen gleichwertig sind.
 
Wie sollten Unternehmen reagieren, wenn sie bereits um geschlechterspezifische Vergütungsunterschiede wissen oder konkrete Benachteiligungen im Blick haben?
Isabel Jahn: Wir empfehlen ein offensives und sachliches Herangehen unter Einbeziehung der relevanten internen Verantwortlichen, und das schon frühzeitig. Allerdings fällt es schwer, an einen großflächigen Handlungsbedarf zu glauben. Gerade im Tarifbereich sollte alles gut geregelt sein, sofern die Einstufungen nach den tariflichen Regelungen vorgenommen wurden. Und auch in den anderen Mitarbeiter- und Führungskräftekreisen gibt es ja keine gezielte geschlechterspezifische Diskriminierung.
 
Welche Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern als auch zur Herstellung von Entgeltgleichheit schlagen Sie vor?
Isabel Jahn: Es wird künftig noch wichtiger sein, ein für das jeweiligen Unternehmen passendes Vergütungssystem aufzubauen und entsprechende Anleitungen bereitzustellen, die einerseits unvoreingenommene, aber auch differenzierte Vergütungsentscheidungen ermöglichen. Entgeltgleichheit heißt ja nicht, dass alle das Gleiche verdienen. Eine begründete Differenzierung auf Basis von klaren Kriterien sollte auch künftig im Rahmen von Vergütungsbandbreiten möglich sein.
David Voggeser: Sicher hilft es, die Entscheidungsträger im Unternehmen für potenzielle, aber unbewusste Ungerechtigkeiten zu sensibilisieren. Alle sind der Meinung, dass nichts im Argen liegt, tatsächlich besteht aber doch an einigen Punkten Nachholbedarf. Allerdings führen aus unserer Erfahrung vor allem fundierte Vergleichsdaten, gute Analysen und eine Kultur der Checks & Balances zu den besten Ergebnissen.
 
Wie erleben Sie die Situation derzeit in Unternehmen: Werden die aus dem Gesetz resultierenden Maßnahmen und Folgen ernst genommen?
David Voggeser: Nun, wir sehen das gesamte Spektrum von absoluter Gelassenheit bis hin zu großer Unsicherheit. Lange Zeit war ja nicht klar, ob es überhaupt zu einem entsprechenden Gesetz kommt. Derzeit treten Unternehmen vor allem mit der Bitte nach detaillierter Erläuterung der Texte im Gesetzentwurf an uns heran.
Isabel Jahn: In Einzelfällen gehen wir auch schon weiter und analysieren vergütungsspezifische Situationen in bestimmten Funktionsgruppen…
 
Frau Jahn, Herr Voggeser, vielen Dank für das Gespräch.
* Photo by Tim Mossholder on Unsplash
Autor David Voggeser

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